Akte X
Revolver fallen, trommelte mit den Fäusten gegen den Brustkorb des schwarzen Labradors und versuchte verzweifelt, ihn abzuschütteln, aber er wurde schwächer und schwächer.
Scully ignorierte ihn und starrte die Brust des Junges an, das saubere runde Loch in seinem Hemd, aus dem schaumiges, scharlachrotes Blut quoll. Die Lage der Wunde verriet ihr, daß Jody mehr brauchte als Erste Hilfe.
»Oh nein«, flüsterte sie, beugte sich über ihn, riß Jodys Hemd auf und musterte die Schußwunde. Die Kugel hatte den linken Lungenflügel durchdrungen und wahrscheinlich das Herz getroffen. Eine schwere Verletzung - eine tödliche Verletzung.
Er würde nicht überleben.
Jodys Haut wurde grau und fahl. Seine Augen waren jetzt geschlossen; er hatte das Bewußtsein verloren. Aus der Schußwunde quoll noch immer Blut.
Endlich handelte Scully, wie es von einer Ärztin erwartet wurde, legte ihre Handfläche auf die Wunde und drückte so fest sie konnte, um die Blutung zu stoppen. Sie hörte, wie der Hund seinen Angriff auf den zu Boden gestürzten Mann fortsetzte - ein brutaler Angriff, voller Haß und Rachsucht, als hätte der Mann dem Hund einmal etwas sehr Böses angetan. Aber sie entschied sich dennoch dafür, dem Jungen zu helfen. Sie mußte die starke Blutung der Schußwunde stoppen.
31 Blockhaus der Kennessys, Küstenregion, Oregon Freitag, 14:20 Uhr
Das plötzliche Blutbad lahmte Scully, und die Zeit schien stillzustehen, der Wald näherzurücken. Der Geruch von Blut und Schwarzpulver hing schwer in der Luft. Die Vögel verstummten, der Wind ließ nach.
Sie zögerte nur einen kurzen Moment und besann sich dann wieder auf ihre Rolle als Bundesagentin. Sie löste sich abrupt von dem tödlich verwundeten Jungen und stürzte zu dem Hund, der noch immer knurrte und nach dem zu Boden gestürzten Mann schnappte. Sie packte Vaders Nackenfell und versuchte, ihn trotz seiner heftigen Gegenwehr von seinem blutenden Opfer wegzuziehen, das zuckend auf dem schmutzigen, laub- und zweigbedeckten Boden lag.
»Weg da, Hund!« stieß sie hervor und zog kräftiger.
Der Hund knurrte weiter, und Scully dämmerte, wie gefährlich es für sie war, sich auf ein Tier zu stürzen, das gerade die Kehle eines Mannes zerfetzt hatte. Aber dann beruhigte sich der schwarze Labrador, wich zurück und setzte sich gehorsam in das feuchte Laub. Schaumiges Blut klebte an seiner Schnauze, und seine sepiafarbenen, glänzenden Augen blitzten vor Zorn und fixierten noch immer die liegende Gestalt. Scully sah seine roten Fänge und schauderte.
Sie musterte den Mann, der Jody bedroht, der den Jungen erschossen hatte. Seine Kehle war zerrissen. Sein Hemd hing in Fetzen, als hätte man es durch einen Fleischwolf gedreht.
Obwohl der Mann offensichtlich tot war, zuckte seine Hand wie ein Frosch auf einem Seziertisch. Seine Haut war in ständiger Bewegung, als würde unter ihr eine ganze Kolonie von Kakerlaken wimmeln. An einigen Stellen glänzte sie feucht und gelatinös... wie der Schleim, den Scully bei der Autopsie von Vernon Ruckmans Leiche entdeckt hatte.
Außerdem wies seine Haut unregelmäßige dunkle Flek-ken auf... aber sie verblaßten, um an anderer Stelle wieder aufzutauchen, wie mobile Blutergüsse, die sich zurückbildeten und über seinen ganzen Körper wanderten. Dieser Mann war der Träger der unmittelbar tödlichen Seuche, die Patrice Kennessy, Vernon Ruckman und wahrscheinlich auch den Trucker umgebracht hatte, um den sich Mulder jetzt kümmerte. Scully wußte nicht, wer er war, aber er mußte irgend etwas mit den DyMar-Laboratorien zu tun haben, mit David Kennessys Forschungen und der radikalen Krebstherapie, die er für seinen Sohn zu entwickeln versucht hatte.
Die Zeit schien stillzustehen, als Scully zu dem schwarzen Labrador hinüberblickte, um sich zu vergewissern, ob auch Vader Symptome der Seuche zeigte — aber offenbar konnte die Zellzerstörung die Artenschranke nicht ohne weiteres überwinden. Vader saß geduldig da, wedelte nicht mit dem Schwanz und schien auf ihre Reaktion zu warten. Er winselte, als wollte er rechtfertigen, was er zur Verteidigung des Jungen getan hatte.
Sie drehte sich zu Jody um, der noch immer keuchend dalag und aus seiner Brustwunde blutete. Sie riß einen Teil von Jodys Hemdsärmel ab und preßte den dicken Stoff fest auf die offene, blutende Wunde.
Es war eine penetrierende Wunde — die Kugel war nicht aus Jodys Rücken wieder ausgetreten, sondern steckte irgendwo in seiner Lunge, seinem
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