Akte X
unermeßliche Kenntnisse beigebracht und die Geburt einer großen Zivilisation ermöglicht.
In Gedanken versunken fuhr Mulder mit den Fingern über die Lücken in den metallischen Wänden und berührte den polierten Kalkstein. Mehr als alles andere wünschte er sich, Vladimir Rubicon hätte lange genug gelebt, um Zeuge dieser Entdeckung zu werden.
Im Lauf der Jahrhunderte hatten die Maya – oder spätere Schatzsucher – das Wrack bis auf die Knochen ausgewaidet und nur dieses Skelett des ursprünglichen Schiffs zurückgelassen. Doch es war genug. Mulder wußte, daß dieser Beweis nicht zu widerlegen war.
Könnte er nur Scully hier herunterbringen, könnte sie es nur mit eigenen Augen sehen...
Wie ein Stich durchfuhr ihn die verzweifelte Hoffnung, daß sie noch lebte, daß sie als Gefangene von Major Jakes zumindest vor dem erneuten Ansturm der Guerillas beschützt gewesen war.
Wenn... wenn wir hier lebend rauskommen, könnte ich es endlich beweisen, blitzte es wie Leuchtfeuer durch sein Hirn, endlich. Denn Scully hatte recht – sie hatte es ihm schon damals gesagt, während ihrer tollkühnen Flucht vom Radioteleskop in Arecibo, Puerto Rico: »Beweise nützen nichts mehr, wenn Sie tot sind.«
Mulder erreichte eine spiralförmig ansteigende Rampe und folgte dem hellen, pulsierenden Leuchten steil nach oben. Sein Erstaunen wuchs, als er die nächste Ebene erreicht hatte. Er hatte den Ort gefunden, von dem das leuchtende Signal ausging. Er mußte seine Augen gegen das Licht abschirmen, das so hell brannte, daß es in seinem Kopf schmerzte. Dies muß die Kontrollbrücke sein, dachte er. Langsam ließ er seinen Blick durch den strahlenden Raum wandern.
Das gesamte Gelaß war noch so gut wie intakt, und seine seltsam komplexen Vorsprünge – technische Einrichtungen? – offenbar noch funktionstüchtig. Mulder vermutete, daß dieser Ort für die Maya die größte religiöse Bedeutung gehabt haben mußte.
Plötzlich bemerkte er... ein Ding, das ihn erstarren ließ, und sein Magen krampfte sich zusammen. Eine der Nischen war mit einer seltsamen, durchscheinenden Substanz gefüllt, einem ätherischen Gel, in dem ein Schatten zu sehen war – der Umriß einer menschenähnlichen Gestalt, die reglos in der gegenüberliegenden Wand hing, die Arme ausgestreckt, die Beine ein wenig gespreizt. Die Silhouette sah dünn und skelettartig aus, verzerrt von der trüben Substanz, die sie umgab.
Wie eine Motte zum Licht taumelte Mulder über das abschüssige Deck der Brücke auf die schmale Kammer zu – und erkannte, daß die Silhouette in der geleeartigen Masse eine junge Frau mit langen Haaren und menschlichen Zügen war.
Mulder zögerte. Der rationale Teil seines Verstands wußte, daß dies nicht seine Schwester sein konnte. Sie kann es nicht sein.
Gebannt stand er vor dem Umriß, spähte blinzelnd durch das helle Licht, das ihn von allen Seiten umgab, und musterte die Frau, die dort an ihrem Platz hing, gefangen wie ein Insekt in Bernstein...
Mit verengten Lidern erkannte Mulder, daß ihr Gesicht einen überraschten Ausdruck hatte, der Mund ein wenig geöffnet, die Augen weit aufgerissen, als wäre sie auf einem Schnappschuß festgehalten worden. Das Gel wurde klarer, von unsichtbaren Energieströmen durchflossen. Er bemerkte ihre grün-braunen Augen, die zierliche Figur, die gut in den Taucheranzug gepaßt haben könnte, den Scully benutzt hatte. Wallendes, zimtfarbenes Haar, ein paar frische, rote Kratzer auf einer Wange.
Von allen Wundern, die Mulder in dem verlassenen Schiff gesehen und bestaunt hatte, überraschte ihn dieses am meisten.
Er hatte Cassandra Rubicon gefunden.
29
Ruinen von Xitaclan Mittwoch, 2.33 Uhr
Major Jakes befahl Scully, sich auf den Boden zu legen, und ihr blieb nichts anderes übrig, als zu gehorchen.
Er bellte seinen Soldaten Befehle zu, einen offensiven Gegenschlag zu starten. Eine weitere hastig errichtete Bogenlampe fiel dem vereinzelten Feuer der Heckenschützen zum Opfer, doch sie wurde durch blendende Leuchtkugeln ersetzt, die den Himmel erhellten und einen Stroboskopeffekt erzeugten, der die Explosionen und das Gewehrfeuer unterstrich.
Aus dem Waffenvorrat im Inneren der gepanzerten Geländefahrzeuge errichteten zwei Soldaten eine kleine Raketenbatterie und dann einen Granatenwerfer. Scully hielt sich die Ohren zu, als die Soldaten die Apokalypse der Neuzeit über den dichten Dschungel hereinbrechen ließen.
Erschrocken gaben die verstreuten Freiheitskämpfer der Liberacion Quintana Roo
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