Akte X
hinaufgeschossen war...
Jetzt lag der Schacht leer da, tropfend und knisternd wie ein trockenes, weit aufgerissenes Maul. Seine Wände waren glitschig und uneben. Immer noch kräuselte sich Dampf empor, vermischt mit dem säuerlich stechenden Gestank vulkanischer Gase.
Mulder spähte hinab in die klaffende Cenote, ein gähnender Höllenschlund wie der legendäre Eingang zum Hades. Tief unten bemerkte er ein schwaches Leuchten. Das Licht sah nicht aus wie Feuerschein... es kam nicht von der schwelenden Glut vulkanischer Hitze. Es schien eher ein kaltes Leuchten zu sein, ein Schimmer, der pochte und pulsierte wie eine Signallampe, deren lautloser Schrei aus dem giftig atmenden Schacht heraufdrang.
Scully hatte ihm von einem ähnlichen, beunruhigenden Lichtschein berichtet, den sie während ihres Tauchgangs gesehen hatte, ein fernes Wetterleuchten weit unterhalb der Tiefe, in der sie die Leichen des Forschungsteams entdeckt hatte. Phosphoreszierende Algen, die außerhalb der Reichweite des Sonnenlichts lebten, hatte sie spekuliert. Doch als Mulder das schwache Leuchten anstarrte, das flackernde Licht beobachtete, konnte er die wissenschaftliche Erklärung seiner Partnerin nicht mehr akzeptieren. Das an- und abschwellende Funkeln schien zu geordnet, zu regelmäßig... wie ein Muster, wie irgendeine Art von Morsezeichen.
Er erinnerte sich an die Behauptung des Majors, die Ruinen von Xitaclan seien die Quelle eines mysteriösen verschlüsselten Signals, einer Funksendung, deren Code das amerikanische Militär offenbar nicht entschlüsseln konnte. Doch wenn nun die Sendung überhaupt nicht codiert war, sondern einfach in einer Sprache abgefaßt, die Major Jakes nicht verstand... die kein Mensch je gelernt hatte?
Vladimir Rubicon hatte Mulder für seine phantasievolle Deutung der Schnitzereien auf der Spitze des Tempels gescholten – für seine Erklärung, der weise Gott Kukulkan könne ein antiker Astronaut gewesen sein, ein Außerirdischer, der in der Morgendämmerung der menschlichen Zivilisation auf die Erde gekommen sei. Doch nun, als er das unheimliche Glühen tief unten in der ausgetrockneten Cenote sah, war sich Mulder beinah sicher, daß dies eine Art extraterrestrisches Notsignal sein mußte.
Mulder registrierte die Seile, die immer noch an der Wand des Opferbrunnens herabhingen. Er starrte hinab zu den steilen, geschwungenen Kalksteinwänden. Seine Gedanken arbeiteten fieberhaft. Mit all den Spalten, Felsstufen und abfallenden Vorsprüngen sowie mit Hilfe der alten Seile konnte er den Abstieg schaffen. Wahrscheinlich.
Das Leuchten rief nach ihm. Er mußte dort hinunter. Das war keine Frage.
Er griff nach den Seilen, die sich in seiner Hand feucht und warm anfühlten. Sie mußten wie Gemüse gekocht worden sein – aber sie schienen unbeschädigt, und sie würden sein Gewicht halten... hoffte er.
Energisch ruckte er daran, um die Knoten zu sichern, und ließ sich dann rückwärts über den Rand hinab, indem er die Absätze seiner Schuhe gegen den feuchten Kalkstein stemmte. Wie erwartet fand er ausreichend Halt für seinen Abstieg – doch es schien unendlich weit in die Tiefe zu gehen.
Als er sicherer wurde, spannte Mulder seine Armmuskeln an und beschleunigte den Abstieg, ließ sich von Felskante zu Felskante hinabsinken, immer weiter in die Tiefe hinab. Er hielt das rauhe Seil umklammert, benutzte es jedoch häufig nur als Krücke, nicht um wirklich sein Gewicht daran zu hängen.
In Mulders Kopf begann sich alles zu drehen von den fauligen Gerüchen, die zischend aus der Tiefe aufstiegen... wie der stinkende Atem eines Drachen. Er konnte sich nicht vorstellen, wie abgründig der Schacht sein mochte. Glücklicherweise kam das Leuchten, das ihn anzog, offenbar nicht von ganz unten.
Wieder hallten peitschende Schüsse durch die Luft. Mulder erstarrte und schmiegte sich in die Dunkelheit unter einem Felsvorsprung, doch dann erkannte er, daß niemand gezielt auf ihn geschossen hatte. Die Kämpfe waren wieder aufgeflammt, nachdem sich die versteckten Angreifer von den heftigen Erdstößen erholt hatten.
»Schätze, ich sollte mich lieber beeilen«, murmelte er. Er würde sich durch eine banale mittelamerikanische Revolution doch nicht von seinem Vorhaben abhalten lassen.
Mulder ließ sich zur nächsten Felskante herabgleiten, und die Farbe des Kalksteins änderte sich von einem verblichenen Weiß zu einem dunkleren Ton und war mit schleimigen Rückständen bedeckt. Nun befand er sich unterhalb der ehemaligen
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