Akte X
biß die Zähne zusammen. Einen Moment lang waren die Finger der rechten Hand ohne jedes Gefühl. Er achtete nicht darauf.
»Es sind Schüsse gefallen!« hörte er Brem rufen. »Quelle lokalisieren und melden! Ich wiederhole, lokalisieren und melden!«
Eine weitere Feuersalve zerriß die Nacht. Mulder rollte auf das Fenster zu, stemmte sich auf einen Arm hoch und reckte den Hals. Woher kamen die Schüsse? Von einem der Scharfschützen draußen auf dem Platz? Von Duane Barry aus dem Reisebüro?
Er wußte es nicht. Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was dort vor sich ging.
7 Halliday Square
Officer Steve Hallsey vom Richmond Police Department hätte normalerweise schon längst Feierabend gehabt. Die Uniform klebte ihm auf der Haut und rief einen Juckreiz hervor, er konnte seinen eigenen Schweiß riechen, und sein Haar fühlte sich wie schmieriges Stroh unter der Polizeimütze an. Aber das war schon in Ordnung. Er hatte jetzt bereits vier Überstunden auf dem Konto, und es war nicht abzusehen, wie viele noch dazukommen würden.
Er machte sich Sorgen. Je länger der Psychopath die Geiseln in dem Reisebüro in seiner Gewalt hatte, desto größer wurde die Wahrscheinlichkeit, daß irgend etwas schiefging. Und das wollte Hallsey wirklich nicht.
Trotzdem, gerade jetzt, da es nicht mehr lange dauern würde, bis er Vater wurde, konnte er Überstunden gut gebrauchen. Und seine Aufgabe war leicht: Alles, was er zu tun hatte, war, in der Polizeikette zu stehen, mit der die kleine Gruppe unbeteiligter Zuschauer und die größere der Reporter vom Tatort ferngehalten wurde.
In gewisser Weise war es sogar aufregend. Bis zu diesem Tag war er noch nie im Fernsehen gewesen, aber heute hatte man mindestens ein Dutzend Mal Kameras direkt auf sein Gesicht gerichtet oder ihm Mikrophone unter die Nase gehalten. Wie von seinem Vorgesetzten befohlen, beantwortete Officer Hallsey alle Fragen lediglich mit der stereotypen Floskel: »Kein Kommentar.«
Und aus der Nähe konnte er deutlich erkennen, daß der Chefreporter von Channel Six tatsächlich ein Toupet trug. Der Gedanke ließ ihn grinsen, und er fragte sich, ob seine Frau ihn wohl in den 6 Uhr-Nachrichten gesehen hatte. Ob die Aufnahmen mit ihm überhaupt gesendet worden waren?
Als das weiße Licht über der Szenerie aufflammte, war er genauso überrascht wie alle anderen. Es kam zu zweierlei Reaktionen. Während sich die normalen Zuschauer duckten und ihre Augen abschirmten, begannen die Reporter, ihre Kameras wie wild in alle Richtungen zu schwenken. Hallsey selbst ging ebenfalls in die Hocke, blieb aber auf seinem Posten. Der Schirm seiner Mütze schützte seine Augen vor dem direkten Lichteinfall, trotzdem konnte er kaum noch etwas erkennen. Und es war ein furchteinflößendes Licht. Irgend etwas daran... es war, als würde es einen verbrennen oder auf eine ähnliche Weise verletzen, wenn man ihm zu lange ausgesetzt blieb.
Das war nur ein flüchtiger Gedanke, der ebenso schnell wieder erlosch wie das gleißende Licht selbst. Hallsey holte tief Luft und richtete sich auf. Überall um ihn herum begannen auch die anderen Leute sich wieder zu rühren, sie liefen ziellos umher und redeten aufgeregt miteinander.
Auf dem Platz war es dunkel geworden, obwohl die Scheinwerfer einiger Streifenwagen aufleuchteten und lange weiße Lichtkegel warfen.
Hallsey war gerade dabei, sich wieder zu beruhigen, als der erste Schuß peitschte. Sein Herz begann zu rasen.
Er wartete nicht erst auf irgendwelche Anweisungen. Schon lag er flach auf dem Bauch und schrammte mit dem Kinn über den Betonboden.
Zu seiner eigenen Überraschung stellte er fest, daß er die Waffe bereits anhand ihres Klanges eingeordnet hatte. Es war nicht das tiefe hustende Brüllen aus einem dieser modernen Präzisionsgewehre, wie sie die Jungs vom FBI benutzten. Dieses Geräusch war schärfer und heller, der Knall einer Faustfeuerwaffe. Wahrscheinlich eine 38er, vielleicht auch Kaliber 9 Millimeter.
Er glaubte, fünf Schüsse gezählt zu haben, als wieder Stille einkehrte, blieb aber noch eine Weile liegen. Wer sich bewegte, machte sich selbst zum Ziel. Nach einer undefinierbaren Zeitspanne, wahrscheinlich waren es nur Sekunden gewesen, kam er zu der Überzeugung, daß es vorbei war. Er hob vorsichtig den Kopf und sah sich um. Nichts passierte. Er atmete einmal tief durch und stemmte sich auf die Füße.
Das Funkgerät an seiner Hüfte rauschte und knisterte. Er hob es hoch, schaltete es ein und lauschte der
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