Akte X
Schuldgefühle. Er hatte Duane Barry gerade das Leben gerettet, aber um welchen Preis? Den seines eigenen Lebens? Er war bereit, das Risiko auf sich zu nehmen. Aber was war mit Dr. Hakkie?
Mulder war klar, was ihn zu diesem Schritt veranlaßt hatte. Es war nicht wirklich Mitleid, sondern ein tiefes inneres Bedürfnis. Das Bedürfnis, die Wahrheit in Erfahrung zu bringen.
»Ich muß es wissen, Duane«, sagte er.
»Was?« Duane kam leicht schwankend näher.
»Sie haben mir nicht geglaubt. Ich mußte mir Ihr Vertrauen erst erarbeiten. Ich muß es wissen... ich muß wissen, ob Sie irgend etwas von all dem erfunden haben.«
Duanes Augen wurden riesig. Plötzlich war die Luft erfüllt von knisternder Elektrizität. Er beugte sich weit vor, sein Atem strich heiß über Mulders Wangen.
»Was? Nennen Sie Duane Barry jetzt einen Lügner?«
Ich stehe direkt an der Schwelle des Todes, dachte Mulder. Er schüttelte den Kopf.
»Nein«, antwortete er so ruhig wie möglich. Aber ebensogut hätte er versuchen können, die Löcher in einem brechenden Damm mit den Fingern zu stopfen. Der Zorn brach aus Duane heraus.
»Sie glauben, ich hätte das alles erfunden'?«
»Nein. Das glaube ich nicht. Es tut mir leid.«
Duanes Stimme klang jetzt wie das Heulen eines überhitzten Motors, schrill und außer Kontrolle geraten. »Es tut Ihnen leid?«
»Duane, hören Sie mir zu...«
»Sie sind genau wie die anderen, stimmt's? Sie haben gesagt, Sie würden mir glauben, aber Sie haben gelogen, genau wie die anderen!«
Er stieß Mulders Stuhl zurück, bis er gegen die Wand prallte. Mulder schlug mit dem Hinterkopf hart gegen den Putz. Er spürte, wie etwas Kleines und Kompaktes aus seinem linken Ohr flog, und wußte, daß er keine Stimmen mehr hören würde.
»Ich habe Ihnen vertraut!« krächzte Duane mit tonloser und gleichzeitig anklagender Stimme, in der jahrelange Enttäuschung und Verzweiflung mitschwang.
Mulder sah, wie Duane langsam die Hand hob, wie die Automatik herumschwang und auf ihn zielte, sah die gähnende Mündung des Laufs. Setz alles auf eine Karte...
»Duane... darf ich etwas sagen? Ich weiß, daß Sie müde sind...«
Duanes Augen blitzten. Er sah alles andere als müde aus.
»Aber Sie haben etwas vergessen.«
»Was?«
»Sie haben vergessen, die Tür abzuschließen, nachdem Sie die Frauen haben gehen lassen.« Duane wirbelte verunsichert herum.
»Duane, gehen Sie zur Tür und verriegeln Sie sie«, drängte Mulder. Seine Aufforderung klang mehr nach einem Flehen als nach einem Befehl, aber Duane umklammerte die Pistole fester und ging auf die Tür zu, trat in den Lichtfächer hinein. In das Blickfeld der Zielfernrohre.
»Gehen Sie weiter, Duane, schließen Sie die Tür ab.«
Plötzlich tanzte ein blutroter Lichtpunkt auf Duanes Brust.
Mulder sah den Fleck, und diesmal bemerkte Duane ihn auch. Sein Kopf ruckte hoch, die Muskeln in seinem Hals verkrampften sich, sein Unterkiefer klappte herab. Die gläserne Tür zerbarst, eine Fontäne aus Scherben ergoß sich in das Reisebüro, untermalt von einem fernen Donnerschlag.
10 Einsatzzentrale des FBI-Geiselbefreiungskommandos
Scully nahm den Kopfhörer ab und starrte die großen Lautsprecher an, aus denen der Lärm des Chaos ertönte, stampfende Schritte, berstendes Glas, laute Männerstimmen.
»Er ist getroffen! Er ist getroffen...!«
Scully schloß die Augen. Sie hatte den Schuß gehört.
Wer war getroffen?
11 Halliday Square
Duane Barry lag flach auf dem Rücken. Kälte breitete sich in seiner Brust aus. Er konnte sich nicht rühren. Genau wie früher. Überall um ihn herum blitzte gleißendes Licht auf und blendete ihn. Genau wie früher. Und aus dem Licht heraus, irgendwo aus weiter Ferne, musterten ihn Gesichter. Genau wie früher.
Aber eins war doch anders. Zwei neue Gesichter. Dieser Bursche namens Mulder. Und eine Frau, eine rothaarige und hübsche Frau. Der Anblick dieser beiden Gesichter brannte sich tief in sein Gedächtnis ein. Er würde sie nie vergessen.
Scully und Mulder sahen zu, wie Duane Barry auf eine Bahre gehoben und in einen Krankenwagen geschoben wurde. Hektisch blinkende blaue und rote Lichter hatten die Dunkelheit zurückgedrängt. Mulders Gesicht wirkte blutleer und farblos.
Es zeigte keinerlei Regung, als der Motor des Krankenwagens aufheulte, die Sirene mit einem erstickten Wimmern zum Leben erwachte und das Fahrzeug mit Duane Barry in der Nacht untertauchte.
»Sind Sie in Ordnung, Mulder?« fragte Scully.
Mulder sah sie
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