Akunin, Boris - Pelagia 01
aufgehalten. Ich befehle dir, meine Tochter, den Leuten hier zu erzählen, was du herausgefunden hast. Die Sache hat gar zu sehr die Gemüter bewegt und die Seelen verstört, darum wollen wir beide kein Geheimnis daraus machen.«
Pelagia senkte den Kopf und schob die Brille auf der Nasenwurzel vor und zurück, was bei ihr ein Zeichen von Missvergnügen war, doch dem Bischof zu zürnen schickte sich nicht für sie. Es blieb ihr nur der Gehorsam.
»Wenn Ihr mir dazu Euren Segen erteilt, will ich es erzählen«, sagte sie, ihre Erregung niederkämpfend. »Aber zuvor bekenne ich mich schuldig und bitte um Vergebung. Ich hätte es früher herausfinden müssen. Dann könnte das Tierchen noch leben, und Marja Afanassjewna wäre die leidvolle Erschütterung, die sie fast ins Grab gebracht hätte, erspart geblieben. Erst heute früh ist mir etwas aufgegangen, und auch nicht bis ins Letzte . . .«
Alle hörten der Nonne sehr aufmerksam zu, außer vielleicht Bubenzow, der stand, die Hände in den Hüften, und betrachtete die Klosterfrau mit spöttischer Verwunderung. Sein Spießgeselle Selig, vom Beispiel seines Herrn angesteckt, benutzte die Pause, um halblaut zu verkünden:
»Lasset eure Weiber schweigen, denn es soll ihnen nicht zugelassen werden, dass sie reden, sondern sie sollen untertan sein, wie auch das Gesetz sagt.«
»Entstellen Sie nicht die Heilige Schrift, das ist eine große Sünde und überdies strafbar.« Mitrofani ließ ihm die Gemeinheit nicht durchgehen. »Bei dem heiligen Apostel heißt es: schweigen in der Gemeinde – in dem Sinne, dass während des Gottesdienstes die geschwätzigen Weiber zu schweigen haben, aber den Mund verbietet das christliche Gesetz den Frauen nicht. Das, Verehrter, verwechseln Sie wohl mit dem Islam.«
»Vergebung, Bischöfliche Gnaden, mein Gedächtnis hat nachgelassen«, antwortete Selig demütig und verbeugte sich vor dem Würdenträger bis fast zur Erde.
Pelagia bekreuzigte sich, sie wusste, dass gleich darauf in dem stillen Raum ein Gebrüll losgehen würde wie in Sodom und Gomorrha, aber da war nichts zu machen, und sie begann:
»Hier in Drosdowka sind drei Morde geschehen, einer vor fünf Tagen, einer vorgestern und einer gestern Abend. Ja, es waren Morde, auch wenn keine Menschen umgebracht wurden. Der erste Mord war vorbereitet und umsichtig geplant. Jemand wollte mit einem Schlag Saguljai und Sakidai vergiften. Beim zweiten und dritten Mal kam es anders: Der Mörder war unvorbereitet, handelte überstürzt, schlug zu mit einem Gegenstand, der eben zur Hand war. Sakidai wurde mit einer Axt erschlagen, die aus dem Gartenschuppen stammte. Gestern genügte ein ge-wohnlicher Stein, das Tierchen wird nicht mal mehr gepiepst haben . . .«
Die Nonne bekreuzigte sich wieder, obwohl das bei einem Hund nicht nötig gewesen wäre. Na und, es würde nichts verschlimmern.
»Klar ist eines: Die Ermordung der Hunde hat mit dem Testament nichts zu tun, weil, wie der Bischof gesagt hat, dessen Änderung keine Auswirkung auf die bösen Absichten des Hundemörders hatte, der führte seine finstere Sache zu Ende. Er wollte entweder Frau Tatistschewa umbringen oder ein anderes Ziel erreichen, von dem wir nichts wissen. Aber auch im letzteren Fall sind die Handlungen dieses Menschen abscheulich, denn er nahm die Leiden der unglücklichen Frau gleichgültig in Kauf. Er musste ja wissen, dass er ihre seelische und physische Gesundheit zerstörte . . . Am rätselhaftesten jedoch ist dies.« Pelagia schob die rutschende Brille hoch. »Weshalb die Eile bei Sakidai und Sakussai? Warum ging der Mörder solch ein Risiko ein? Beide Male waren Leute im Park. Die konnten etwas sehen, den Mörder entlarven. Ich zum Beispiel hätte gestern ums Haar den Übeltäter am Schauplatz seines Verbrechens erwischt, habe sogar seine Schritte gehört, hatte aber Angst, ihm nachzulaufen, und als ich mir ein Herz fasste, war es zu spät. Hinter der Grausamkeit und Dreistigkeit des Mörders steckt eine besondere Leidenschaft. Hass oder Angst oder noch etwas. Ich weiß es nicht und will nicht raten. Ich hoffe, dass der Übeltäter oder, genauer, die Übeltäterin es uns selbst erzählt.«
»Übeltäterin?«, ächzte Schirjajew. »Sie wollen sagen, Schwester, dass der Mörder weiblichen Geschlechts ist?«
Alle redeten durcheinander. Mitrofani warf einen zweifelnden Blick auf Pelagia und bedauerte wohl schon, sie zum Erzählen ermuntert zu haben.
»Also doch die Engländerin?«, fragte der Graf vollends
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