Akunin, Boris - Pelagia 01
Anwaltschaft und europäische Berühmtheit. Allen war noch sein vorjähriger Triumph gegenwärtig, als er Freispruch für die Schauspielerin Granatowa erwirkte, diese hatte die Ehefrau ihres Liebhabers, des Theaterunternehmers Anatoliski, erschossen.
Gegen einen so gefährlichen Gegner konnte der beschränkte Gouvernementsstaatsanwalt natürlich nicht antreten, und der Bischof, im Bunde mit dem Gouverneur, nötigte teils durch Überredung, teils durch Gewalt Berditschewski, das Amt des öffentlichen Anklägers zu übernehmen. Diese Wahl wurde auch dadurch befördert, dass Berditschewski sich durch seinen Einsatz bei der Festnahme der gefährlichen Verbrecher den Ruhm eines Helden erworben hatte, zumindest im Gouvernement.
Die Reputation eines Draufgängers und eines Mannes der Tat war Berditschewski unsagbar angenehm, denn in der Tiefe seiner Seele wusste er sehr wohl, dass er sie nicht verdiente. Aber der Preis für den Ruhm war nicht gering.
Vor Aufregung verlor der stellvertretende Staatsanwalt schon zwei Wochen vor dem Prozess Schlaf und Appetit. Er wusste selbst nicht, wen er mehr fürchten sollte: den gewieften Lomejko, die scharfzüngigen Zeitungsreporter oder den Zorn des allmächtigen Oberprokurors Konstantin Petrowitsch. Letzterer hatte eine ganze Delegation unter der Leitung des stellvertretenden Oberprokurors Heller zur Verhandlung entsandt, denn der Sawolshsker Skandal hatte dem Prestige der höchsten Glaubenshüter-Instanz des Reiches schweren Schaden zugefügt.
Zum ersten Mal musste Berditschewski vor einem breiten (und auch hohen) Publikum auftreten. Nun, wenn er stotterte oder mit zitternder Stimme spräche, wäre das nicht weiter schlimm, man würde es einem Staatsanwalt der Provinz nachsehen. Schlimmer war, dass die Anklage auf schwachen Füßen stand.
Auf Rat seines Anwalts hatte Bubenzow während der Ermittlung keine Aussagen gemacht. Frech schwieg er, betrachtete den schwitzenden Berditschewski wie eine Assel, polierte sich die Fingernägel, gähnte. In seine Zelle zurückgekehrt, schrieb er Beschwerden an höhere Instanzen.
Selig wiederum, unter dem Verdacht der Beihilfe verhaftet, redete viel, teilte aber nichts Nützliches mit. Zumeist klagte er über seine Gesundheit und schwafelte über Göttliches. Also mussten die Beweggründe des Verbrechens während der Verhandlung aufgedeckt werden.
So war der Stand der Dinge an dem Tag, an dem sich vor den glücklichen Besitzern von Gastkarten die hohen Türen des neuen Gerichtsgebäudes öffneten und die Verhandlung begann, die nicht nur in die Annalen unseres Gouvernements eingehen sollte, sondern auch in die Lehrbücher der Jurisprudenz.
Die Anordnung der Plätze im Saal unterschied sich von der sonst üblichen dadurch, dass hinter dem Richtertisch noch zwei Reihen Sessel für die angesehensten Gäste aufgestellt waren. Da saßen der stellvertretende Oberpro-kuror des Heiligen Synods und seine zwei nächsten Gehilfen, der Gouverneur und der Adelsmarschall, beide mit Gattin, die Gouverneure der beiden Nachbargouvernements (selbstredend ebenfalls mit Gattin) und Bischof Mitrofani, hinter dessen Schultern wie ein schwarzes Vögelchen eine Nonne hervorschaute, die vom Saal einstweilen überhaupt nicht wahrgenommen wurde.
Den Vorsitz führte der geachtetste und gelehrteste unserer Richter, der im Generalsrang war. Alle wussten, dass er aus Altersgründen bereits den Abschied eingereicht hatte, und erwarteten von ihm völlige Unvoreingenommenheit. Für jeden Juristen ist es schmeichelhaft, eine lange und würdige Karriere mit einem so herausragenden Prozess zu beschließen. Die beiden anderen Mitglieder des Gerichts waren hoch angesehene Friedensrichter, der eine noch jung, der andere wohl älter als der Vorsitzende.
Den hauptstädtischen Anwalt Lomejko begrüßte das Publikum mit lebhaftem Beifall, und er wuchs in die Höhe und Breite wie ein aufgehender Hefeteig. Bescheiden und würdevoll verneigte er sich vor dem Gericht, vor den Zuschauern und mit betontem Respekt vor Bischof Mitrofani, was bei den Einwohnern sehr gut ankam. Guri Samsonowitsch Lomejko hatte wohl selbst Ähnlichkeit mit dem Bischof – ebenso stattlich, klaräugig, mit grau meliertem Vollbart.
Auch der Staatsanwalt wurde freundlich begrüßt, wenn auch vorwiegend von den Ortsansässigen, die ihm dafür lauter applaudierten als der hauptstädtischen Koryphäe. Berditschewski, blass, mit blauen Lippen, verbeugte sich steif und raschelte mit einem dicken Stoß von
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