Al Wheeler und das Callgirl
Kaffee. »Shirley? Wieso — sollte sie bei ihm sein ?«
»Das weiß ich gar nicht. Hal
lud uns beide ein, ihn von San Francisco aus hierher zu begleiten, und Shirley
sollte die große Überraschung für Kingsley sein. Das war vielleicht eine
Überraschung! Als er gestern abend hereinkam und sie
erblickte, fürchtete ich, er würde eine Herzattacke kriegen !«
»Wußte er das Geschenk nicht zu
würdigen ?«
»Er blieb jedenfalls nur kurz.
Eine halbe Stunde lang redete er mit Hal im Schlafzimmer über Geschäftliches,
dann verduftete er. Aber Shirley erhielt gegen elf einen Anruf, tat
anschließend furchtbar geheimnisvoll und behauptete, sie müsse weggehen. Ich
stellte ihr keine Fragen, weil Hal und ich die ganze Zeit miteinander
beschäftigt waren. Aber ich nahm an, daß Kingsley seine Meinung geändert hatte
und sie die Nacht bei ihm verbringen würde. Wo immer sie hingegangen ist,
zurückgekommen ist sie jedenfalls bis jetzt noch nicht .« Ein Schlüssel wurde im Schloß umgedreht, und Wanda lächelte wieder. »Das wird
Hal sein .«
Gleich darauf betrat ein großer,
dünner Bursche das Zimmer. Er war um die vierzig herum, und die Furchen in
seinem scharfgeschnittenen Gesicht verschönten ihn nicht. Eine Strähne dichten
schwarzen Haars hing ihm über das eine Auge, das andere starrte bösartig aus
seiner geröteten und gedunsenen Umgebung. Ertrug eine karierte Sportjacke,
lohfarbene Hosen, Wildlederstiefel und ein Kordsamthemd ohne Schlips. Ich
blickte an ihm vorbei, aber es folgte ihm keine Meute kläffender Jagdhunde.
»Was geht denn hier vor, zum
Teufel ?« Die Stimme war tief und klangvoll mit einem
metallischen Unterton, der auf meine Nervenenden wie Sandpapier wirkte.
»Sei nicht albern, Hal«, sagte
Wanda Blair gelassen. »Du weißt, daß ich morgens niemals arbeite .«
»Wer zum Teufel ist dann dieser
Knilch hier, der da hockt, als gehöre ihm das Apartment ?« brüllte Cordain.
»Al Wheeler.« Sie sah ihn einen
Augenblick lang scharf an, dann schauderte sie leicht. »Mußt du so früh am
Morgen in einer solchen Aufmachung herumlaufen? Jedesmal, wenn ich dich sehe,
möchte ich am liebsten ins Badezimmer rennen und mich übergeben .«
»Wheeler?« Er drehte sich mit
einem Schwung zu mir um. »Ich kenne keinen Al Wheeler, verdammt .«
Ich stand von meinem Sessel auf
und hielt ihm die Dienstmarke unter die Nase. »Lieutenant Al Wheeler vom Büro des
Sheriffs, wenn Sie gestatten.«
Wanda Blairs Augen weiteten
sich. »Oh, nein !« sagte sie in tragischem Ton. »Ich
und meine große Klappe!«
»Keine Sorge.« Cordain war von
arrogantem Selbstvertrauenerfüllt. »Das ist nichts weiter als irgendein hochnäsiger
Provinzbulle, der sich vor dem Sheriff aufspielen will .« Er strich sich die Haarsträhne aus dem Gesicht und sah mich jetzt mit zwei
bösartigen rotgeränderten Augen an, die die Farbe vertrockneter Oliven hatten.
»Um was für ein Verbrechen dreht es sich also ?« fragte
er verächtlich. »Oder haben sie zwischen San Francisco und Pine City schnell
eine Grenze gezogen, als ich mal nicht hingesehen habe? Die beiden Mädchen sind
hierhergekommen, um ihren Urlaub mit mir zu verbringen, das ist alles .«
»Warum auch nicht ?« sagte ich milde.
»Ich will Ihnen gleich sagen,
warum nicht! Weil —« Er blinzelte plötzlich. »Hm?«
»Wenn ich es mir leisten
könnte, zwei so prachtvolle Mädchen wie Wanda und Shirley mit mir in den Urlaub
zu nehmen, würde ich überhaupt nicht mehr an die Arbeit zurückkehren«, sagte
ich. »Wissen Sie, wo Shirley im Augenblick ist ?«
Wanda öffnete den Mund, um
etwas zu sagen, fühlte sich aber offenbar an meinem starren Blick aufgespießt
und klappte den Mund wieder zu.
»Nein.« Cordains Stimme klang wieder
normal. »Sie bekam gestern abend einen Telefonanruf,
sagte, sie müsse noch weggehen, und das tat sie dann auch .«
»Wann war das ?«
»Keine Ahnung.« Er zuckte
gereizt mit den Schultern, wurde von meinem nun auf ihn gerichteten Blick
getroffen und überlegte es sich noch einmal. »Irgendwann zwischen zehn Uhr
dreißig und elf Uhr dreißig, schätze ich .«
»Sie fragten sie nicht, wohin
sie ging ?«
Sofern ein Felsmassiv hämisch
grinsen kann, glich sein Gesicht etwas Derartigem. »Shirley klopfte nicht erst,
sie machte einfach die Schlafzimmertür auf und streckte den Kopf herein, um uns
mitzuteilen, daß sie jetzt wegginge. Die Situation, in der ich und Wanda uns in
diesem Augenblick befanden, war nicht für Diskussionen geeignet
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