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Alanna - Das Lied der Loewin

Alanna - Das Lied der Loewin

Titel: Alanna - Das Lied der Loewin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tamora Pierce
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und manchmal bezweifelte sie, dass sie sich jemals für wenigstens so gut halten würde wie den dümmsten und ungeschicktesten Jungen.
    Die Tür ging auf. »Sir Myles? Ihr seid mir zuvorgekommen.« Es war Prinz Jonathan. »Wie geht es Alan?«
    Myles erhob sich. »Ich glaube, er ist müde. Alan, ich gehe. Aber ich wollte, du würdest über das nachdenken, was ich dir sagte.«
    »Über die Dinge, die Ihr mir sagt, denke ich immer nach«, antwortete sie und reichte ihm die Hand. »Danke, Sir Myles.«
    Der Ritter verbeugte sich vor Jonathan und ging. Der Prinz sah Alanna an. »Worum ging es?«
    Alanna zuckte die Achseln. »Ich glaube, wir haben uns darüber unterhalten, was einen Tyrannen ausmacht.«
    »Ein Tyrann kämpft gegen Kleinere und Schwächere, weil ihm das Spaß macht«, sagte Jonathan geradeheraus. »Hat es dir Spaß gemacht, gegen Ralon zu kämpfen? Und wir wollen für den Augenblick mal vergessen, dass er schon Knappe ist und älter als du.«
    »Beim Kämpfen vielleicht«, entgegnete sie zögernd. »Danach jedenfalls nicht.«
    »Du wirst keinen verprügeln können, der kleiner ist als du, weil es hier im Palast keinen gibt«, bemerkte Jonathan. »Und nach dem heutigen Tag werden wir uns alle zweimal überlegen,
ob du der Schwächste von uns bist. Schau mal, kleiner Trebond – was meinst du wohl, worum es bei unserer Ritterausbildung gehst?«
    Ganz plötzlich fühlte sich Alanna viel besser. »Vielen Dank, Hoheit.« Sie strahlte. »Vielen herzlichen Dank.«
    Er legte ihr die Hand auf die Schulter. »Dir ist wahrscheinlich nicht entgangen, dass mich meine Freunde Jonathan oder Jon nennen.«
    Alanna schaute zu ihm auf. Sie wusste nicht so recht, was da gerade geschah. »Heißt das, dass ich Euer Freund bin, Hoheit?«
    »Ich denke doch«, entgegnete er ruhig. »Ich hoffe es jedenfalls.«
    Er streckte ihr die Hand hin.
    Sie griff danach. »Dann bin ich es, Jonathan.«

4
Tod im Palast

    Die Predigt, die ihr Herzog Gareth am Tag nach der Schlägerei mit Ralon hielt, war lang und eindrucksvoll. Er sprach von der Pflicht, die ein Edelmann einem anderen Edelmann schulde, vom Frieden, der auf dem Palastgelände herrschen müsse, und von Menschen, die andere tyrannisieren. Er informierte sie, dass der unbewaffnete Kampf ein unehrenhafter Zeitvertreib sei, den die Bürgerlichen pflegten und den die Shang-Krieger als Kunst betrieben – und sie sei weder das eine noch das andere. Sie musste eine formelle, schriftliche Entschuldigung an Ralons Vater verfassen und bekam für die nächsten zwei Monate Ausgehverbot. Alanna stand stramm und hörte zu. Sie mochte die Art und Weise, wie der Herzog sprach. Sie wusste, er war ihr nicht böse, sondern freute sich darüber, dass sie sich gegen Ralon durchgesetzt hatte. Sie wusste allerdings auch, dass er ihr das nie sagen konnte, weil sie die Regeln missachtet hatte, und dass sie ihre Bestrafung ohne Widerrede annehmen musste, weil ihr diese Regeln bekannt gewesen waren. Alannas Welt wurde von Regeln regiert – für jede Lebenslage gab es eine. Auf dem Palastgelände gegen einen Edlen zu kämpfen war ein Verstoß gegen die Regeln, und ihr das beizubringen war Herzog Gareths Aufgabe.
Dennoch – die Regeln, die besagten, inwieweit sich ein Edler beleidigen lassen durfte, forderten, dass sie gegen Ralon kämpfen musste, und Herzog Gareth war stolz auf sie, dass sie ihre Ehre gewahrt hatte.
    Wenn man die Regeln erst einmal kennt, überlegte sie sich, während sie mit einem Ohr dem Herzog zuhörte, dann ist das Leben ziemlich einfach. Ich bin dem Herzog nicht böse, denn ich weiß, dass er die Regeln ebenso befolgen muss wie ich. Und mir ist eh klar, dass er in Wirklichkeit gar nicht böse auf mich ist. Vielleicht ist unser Ritterkodex doch gar keine so schlechte Sache.
     
    Am zweiten Tag des acht Tage lang währenden Mittwinterfestes ernannte der König Gary, Alex, Raoul und einige andere vierzehnjährige Pagen zu Knappen. Jeder Knappe wurde in den Dienst eines Ritters gestellt. Sie bedienten nach wie vor bei der Tafel, doch anschließend nahmen sie ihre Mahlzeiten im Knappensaal ein. Wenn sie benötigt wurden, bedienten sie – im Gegensatz zu den Pagen – auch bei den abendlichen Festlichkeiten. Alanna half ihren Freunden beim Umzug in ihre neuen Quartiere. Sie zogen in Zimmer, die an die Räumlichkeiten der Ritter angrenzten, die sie nun bedienten, und Alanna überlegte sich, ob sich ihr Leben nun wohl sehr verändern würde.
    Die Dinge änderten sich und sie änderten

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