Alantua
Abschied einen leichten Kuss
auf die Stirn und löste sich von ihr.
Rynion
hatte sich bisher dezent im Hintergrund gehalten. Nun trat er vor und
verneigte sich lächelnd vor Anyún. „Es war mir eine
Ehre, Euch kennenzulernen.“
„Es
war mir ebenso eine Ehre, Rynion, Bewahrer der geheimen Bibliothek.“
„Eines
Tages werden wir gemeinsam in geheimen Büchern lesen.“
„Versprochen?“
„Versprochen!“
Sie
umarmte ihn ebenso und freute sich, dass er die Umarmung herzlich
erwiderte. Während Arthes voller Sorge in die Zukunft schaute,
war sein Freund voller Hoffnung und Zuversicht für einen
Neuanfang ihres Volkes. Sie machten sich auf den Weg, eine neue
Heimat für die Menschen zu suchen. Wie lange diese Expedition
dauern würde, konnte niemand sagen: Wochen ... Monate ... Jahre.
Für
die Visionen, die Arthes und Anyún geteilt hatten, gab es laut
Rynion eine einfache Erklärung: Seelenverwandtschaft. In einem
früheren Leben hatten sie bereits schon einmal Seite an Seite
gegen das Böse gekämpft. Ihre Seelen waren auserwählt
von den Göttern.
Ein
Klopfen an der Tür beendete ihr Lebewohl. Noch einmal umarmte
Arthes Anyún, bevor er sich abrupt umdrehte und mit wehendem
Mantel das Zimmer verließ.
Marta
Tyron kam respektvoll hinein. Anyún seufzte.
„Ein
weiterer Abschied?“
Die
Frau neigte respektvoll das Haupt. „Bevor ich Euch verlasse,
wollte ich Euch noch etwas zeigen, Hoheit.“
„Nur
zu...“
Königin
Die
warme Frühlingssonne schien auf Dejia herab. Wir standen im
Schatten einer alten Eiche auf einem der Hügel nördlich der
Stadt. Diesen friedlichen Ort hatte sich die Königin von Alantua
als letzte Ruhestätte ausgesucht. Nur eine weiße, in den
Boden eingelassene Steinplatte zierte das Grab.
„
Liebe
und Frieden für Alantua“
lautete
die Inschrift. Mehr nicht.
Ich
schluckte. Natürlich war sie gestorben, bevor ich zurückkehren
konnte ... bevor ich mich entschuldigen konnte für all das, was
ich in Wut und Trauer zu ihr gesagt hatte. Mein Stolz hatte mich so
lange geblendet. Ich hatte nicht gesehen, was sie schon in ihrer
Jugend erkannt hatte: Alantua war es wert! Alantua war es wert, zu
sterben.
So
standen Anyún und ich dort um im Stillen Abschied von unserer
Mutter zu nehmen. Der goldene Stirnreif trug sich ungewohnt schwer
auf meinem Haupt. Unsicher rückte ich ihn zurecht. Anyún
dagegen trug den ihren mit einer überraschenden
Selbstverständlichkeit. Er passte zu ihr, als habe sie nie etwas
anderes getragen.
Der
Rat von Alantua war selbstverständlich wenig begeistert gewesen,
als wir ihm unsere Entscheidung mitteilten: Entweder, wir regierten
beide zusammen – oder keine von uns. Es blieb den Weisen des
Landes nichts anderes übrig, als dies zu akzeptieren.
„Ich
möchte dir etwas zeigen“, sprach meine Schwester. Sie trug
ein Buch unter dem Arm, dicker als jeder Wälzer, den ich je
gesehen hatte.
„Was
ist das?“
„Es
ist das Buch der Königinnen. Generationen von Frauen haben hier
ihre geheimsten Gedanken aufgezeichnet. Es ist ein wertvoller Schatz
der Erfahrungen.“
Sie
hielt mir das in grünes Tuch eingebundene Werk entgegen. Auf dem
Deckel prangte in Gold gestickt die Sonne Alantuas. Ich seufzte und
nahm es in die Hände. Ich teilt nicht die Begeisterung meiner
Schwester für Bücher, obwohl ich die Macht der
geschriebenen Worte zu schätzen weiß. So versuchte ich,
den gebotenen Respekt zu zeigen.
„General
Tyron ... ich meine, Marta Tyron hat es mir überreicht, bevor
sie abreiste. Sie sagte, dieses Buch sei nur für die Königin
bestimmt. Wir müssen gut darauf achten.“
Marta
Tyron hatte ihr Amt niedergelegt. Ihre Aufgabe sei erfüllt, so
sagte sie. Ihr restliches Leben wollte sie bei den Amazonen
verbringen, die stets zu ihren und Martrellas Freundinnen gezählt
hatten. Der Tradition nach hätte Malja nun General werden
sollen. Doch diese lehnte ab. Sie war überhaupt nur mit viel
Überredungskunst dazu zu bewegen, in Dejia zu bleiben. Sie hatte
sich Lirs angenommen. Der Junge wollte hier bleiben, so blieb auch
sie. Maljas Bruder Marlo war an ihrer statt zum General befördert
worden.
„Kwarren,
lies...“, bat Anyún sanft. Sie nahm meine Hände in
ihre und schlug das Buch an der Stelle auf, an der sie ein
Eichenblatt eingelegt hatte. Und so begann ich, Worte meiner Mutter
zu lesen, die ich niemals im Leben vernommen hatte:
„
Wie
kann ich irgendjemandem so etwas antun? Er ist der Vater meiner
Tochter! Und obwohl stets der
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