Alarmstufe Blond
war verschlossen, die Fenster verriegelt. Nichts konnte mich schützen oder gar wärmen. Ich fühlte mich erbärmlich. Und bei dem Gedanken, mir eine Erkältung einzufangen und mit Fieber in dem leeren Haus auf meiner Matratze liegen zu müssen, kam nicht gerade Freude auf. Als es dann im Gebüsch mehrere Male laut knackte und raschelte, als würde gleich ein wildes Tier hervorbrechen und mich als Mahlzeit verspeisen, war ich nervlich gänzlich am Ende. Ich wusste weder ein noch aus. Und ich gebe zu, dass ich geweint habe. Obwohl, das ist untertrieben. Ich habe geheult wie ein Schlosshund.
Mit tränenüberströmtem Gesicht nahm ich mein Handy zur Hand, das ich mitgenommen hatte, um auf dem Weg zum Supermarkt Caroline darüber zu informieren, dass die Handwerker heil angekommen waren, und sah mir ein letztes Mal die Bilder meiner Lieben an: meine Mutter, meinen kleinen Bruder, der nun in der Stadt Kunst studierte, meinen Vater, den ich kaum kannte, weil er bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, als ich sieben Jahre alt war. Als ich in meiner Verzweiflung sogar noch ein Bild von meinem Ex hervorkramte, hielt ich jedoch inne. Denn ich sah etwas, was ich in diesem verlassenen Wald nie für möglich gehalten hätte. Mein Handy hatte Empfang!
Zitternd und mit klammen Fingern öffnete ich die Adressdatei und ging alle Nummern durch, die ich anrufen und die mir in meiner Situation helfen konnten, aber da waren nicht viele. Caroline, meine Mutter und mein Bruder befanden sich in der Stadt, bevor die hier eintrafen, war ich entweder von wilden Tieren zerrissen oder erfroren. Oder beides. Und viel mehr kannte ich nicht, die mir zu Hilfe eilen würden.
Als letztes erschien eine Nummer, die ich zuerst als völlig unmöglich weggedrückt hatte: die Notfallnummer von Dr. Diercksen. Ich verfluchte mich dafür, dass ich die Nummer vor ein paar Tagen eingespeichert hatte, denn nun führte sie mich in Versuchung. Aber ihn wollte ich auf keinen Fall anrufen.
Erneut ging ich meine Telefonkontakte durch. Es tauchte immer noch niemand auf, der mich aus meiner Notlage befreien konnte. Die Nummer meiner Nachbarn besaß ich nicht, dafür fiel mir Peter ein, der Maler, den mir Albert, mein Nachbar, genannt hatte. In meiner Verzweiflung rief ich ihn sogar an, aber der Maler ging mal wieder nicht an den »Apparat«.
Enttäuscht steckte ich mein Telefon weg, um es zehn Minuten später, nachdem das Gewitter eine Runde gemacht hatte und mit Blitz und Donner zurückgekehrt schien, wieder hervorzuholen. Mit bebenden Fingern und klopfendem Herzen drückte ich die Taste mit der Notfallnummer von Dr. Diercksen.
»Praxis Dr. Diercksen«, meldete sich eine weibliche Stimme.
Am liebsten hätte ich sofort wieder aufgelegt, denn dass sich eine Frau meldet, darauf war ich nicht gefasst gewesen. Ich war davon ausgegangen, dass er das Telefonat entgegennehmen würde. Aber natürlich hatte er eine Sprechstundenhilfe. Vielleicht war das sogar seine Frau.
Schnell schluckte ich den Horror herunter, den ich bei diesem Gedanken empfand.
»Hallo, hier ist Pippa Stoltz, ich hätte gerne Doktor Diercksen gesprochen, es ist ein Notfall.« Ich kam mir vor wie eine Verbrecherin. Was war, wenn es in seiner Sprechstunde gerade einen wirklichen Notfall gab, mit abgetrenntem Bein oder geplatztem Blinddarm? Doch wenn ich nicht bald gerettet wurde, landete ich mit Blitzschlag oder als Grippepandemieauslöser ebenfalls auf seiner Liege. Ich war also wirklich ein Notfall.
»Worum geht es denn? Was ist passiert?« Sie klang besorgt.
Ich überlegte fieberhaft, wie ich ihr das erklären sollte, kam jedoch nicht so schnell auf die passenden Worte, zumal ich permanent versuchte, meine klappernden Zähne in den Griff zu bekommen. Glücklicherweise fasste sie mein Schweigen als ein Symptom meiner Krankheit auf und verband mich schnell mit dem Doktor.
»Ja?«, meldete er sich. »Was kann ich für Sie tun?«
Ich hatte keine Ahnung, ob er wusste, mit wem er sprach.
»Es tut mir leid, dass ich Sie stören muss, aber ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden kann. Und da Sie an Ihrer Praxis einen Notruf notiert haben…«
Meine Zähne klapperten zu laut, ich musste unterbrechen.
»Was ist passiert? Sind Sie wieder gestürzt?«
Mist, er wusste, wer ich war.
»Nein, ich bin gesund. Noch. Aber ich bin hier irgendwo im Wald gestrandet, und ich habe keine Ahnung, wo. Es ist nass und kalt und ich glaube, ich bekomme einen Schnupfen. Ich weiß nicht, wie lange ich hier noch
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