Alasea 02 - Das Buch des Sturms
heiße Betta. Du bist hier sicher. Hol ein paar Mal tief Luft und beruhige dich.«
Vira’ni straffte ihre Schultern und strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Das Feuer …«, setzte sie an, doch ihre Stimme versagte.
»Das habe ich vermutet, so wie du mit Ruß und Asche beschmutzt bist. Dann kommst du also aus dem Wald? Bist du allein unterwegs?«
»Ja … nein … meine Kinder!« Vira’ni konnte die Flut von Tränen, die ihr aus den Augen quollen, nicht aufhalten.
Betta umfing Vira’ni, deren Beine schließlich nachgaben, mit ihren großen Armen, und Vira’ni versank in der Umarmung und ließ sich von der Frau einige abgehackte Atemzüge lang halten. Es war ein so gutes Gefühl, sich endlich von der schweren Last zu befreien. Nur eine andere Frau konnte wirklich den Schmerz verstehen, den eine Mutter beim Verlust eines Kindes empfand - die Erfahrung, wie ein Leben im eigenen Bauch entstand und dann von der Welt zerstört wurde. Sie schluchzte hemmungslos an Bettas Brust, während die Frau ihr übers Haar strich und sie mit sanft geflüsterten Worten zu beruhigen versuchte.
Betta führte sie ins Lager und in ein Zelt, wo sie den neugierigen Blicken der anderen entzogen war. Nachdem die Frau Vira’ni auf Kissen gebettet und einer kuhäugigen Frau befohlen hatte, Tee zu bringen, gewann Vira’ni die Beherrschung über ihre Gefühle allmählich wieder. Sie ließ es zu, dass Betta ihr mit einem kalten, nassen Tuch das Gesicht abwischte und ihre Wangen von Ruß und Tränen befreite. Vira’ni versuchte zu sprechen, um ihr zu sagen, wie gut ihr diese freundliche Zuwendung tat und wie dankbar sie dafür war, doch Betta legte ihr einen Finger über die Lippen, zum Zeichen, dass sie schweigen solle. »Trink das, danach können wir reden.« Betta reichte ihr einen kleinen Becher mit heißem, duftendem Pfefferminztee. Vira’ni hatte das Gefühl, dass ihr der Dampf in alle Glieder stieg und ihr Kraft verlieh.
Sie genoss den Tee schweigend und ließ sich davon Zunge und Hände wärmen. Als sie ausgetrunken hatte, fühlte sie sich kräftig genug, um zu sprechen, ohne zu weinen. Sie reichte Betta den Becher zurück. »Danke«, sagte sie schüchtern.
Betta ließ sich auf den Kissen neben ihr nieder. »So, jetzt erzähl mir, was geschehen ist. Gibt es irgendwelche Reisegefährten von dir, nach denen wir suchen sollten?«
Vira’ni senkte den Blick angestrengt auf die Hände und gab sich alle Mühe zu vermeiden, dass ihre Stimme vor Kummer brach. »Nein, ich bin allein gereist, nur … nur mit meinen Kindern.«
»Sind sie dem Feuer zum Opfer gefallen?«
Vira’ni nickte. »Es hat uns unvorbereitet überrascht. Alles ging so schnell! Ich konnte … ich konnte die anderen nicht retten.« Ihre Stimme wurde schrill, und Betta legte ihr eine Hand auf die ihre.
»Pschscht! Mach dir keine Vorwürfe. Du musstest retten, wen du retten konntest«, sagte sie und deutete mit einem Kopfnicken auf Vira’nis dicken Bauch. »So, ich möchte, dass du dich jetzt ausruhst. Du brauchst Kraft für das Kind, das in dir heranwächst.«
Vira’ni schniefte, um die Tränen zurückzudrängen, und nickte.
Betta stand auf und schickte sich an zu gehen.
»Das Feuer wütet grauenvoll«, sagte Vira’ni, bevor die andere Frau das Zelt verließ. »Vielleicht dehnt es sich sogar bis zu den Wiesen hier aus.«
»Mach dir keine Sorgen. Wir kennen dieses Land. Diese Frühlingswiesen sind sehr feucht und werden das Feuer löschen, sobald es aus dem Wald übergreift. Und wir haben Wachen aufgestellt, die die Flammen beobachten. Sollte es uns wirklich bedrohen, brechen wir das Lager ab und sitzen alle in kürzester Zeit auf den Pferden. Also, schlaf ganz ruhig. Wir werden nicht zulassen, dass deinem ungeborenen Kind irgendetwas geschieht.«
»Du bist sehr freundlich zu mir«, sagte Vira’ni. Sie wollte sich gerade in die Kissen zurücklegen, als ein Schmerz aus dem Bauch nach ihrem Herz griff. Ihr wurde schwarz vor Augen, und sie rang nach Luft, während sie das Gefühl hatte, innerlich zerrissen zu werden. Für einen ganz kurzen Augenblick sah sie mit den tausend Augen ihrer Waldkinder: Eine zierliche Frau auf einem Pferd … die rechte Hand erhoben, leuchtend wie eine rubinrote Sonne … Tod geht von ihr aus und rafft alles dahin … ein Tod, schrecklicher als die Flammen … ein Tod, geboren aus unheilvoller Magik!
So schnell, wie der Schmerz und die Vision gekommen waren, verschwanden sie auch wieder und hinterließen nur ein dumpfes Weh und
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