Alasea 02 - Das Buch des Sturms
nicht mehr an der Erde festhalten, sodass uralte Eichen und stattliche Ahornbäume umkippten. Selbst die zähen Spinnennetze verwandelten sich in zerbrechliche Gebilde aus Eis, die vom leichtesten Windhauch zerschmettert wurden.
Eine Wolke eiskalten Nebels stieg aus dem Wald zum rauchverhangenen Himmel auf. Elenas Magik vernichtete den Wald und seine Bewohner mit der gleichen Gründlichkeit, mit der die heißen Flammen den Hauptwald ausgehöhlt hatten. Beide verzehrten alles, was ihnen in den Weg kam. Als Elena beobachtete, wie der weiße Nebel auf den schwarzen Rauch am Himmel traf, erinnerte sie das an die Extreme ihrer Magik. Während der Zeit, da sie bei Er’ril gelernt hatte, hatte sie erfahren, dass die Natur ihrer Magik von dem Licht bestimmt war, das ihre Kraft erneuerte. Sonnenlicht verlieh ihr Macht über die rote Feuersbrunst und die Hitze, während Mondlicht sie über Eis und Frost gebieten ließ.
Am Himmel, wo eisiger Nebel auf heißen Rauch traf, bauten sich Windwirbel auf, während beide Seiten um die Vorherrschaft rangen. Eisüberkrustete Blätter raschelten wie Totengerippe. Zweige brachen und wurden in die Luft gewirbelt.
Die Raserei des Himmels breitete sich bis in Elenas Brust aus. Ihre Magik sang in ihrem Blut, schrie danach, an dem Krieg da oben teilzunehmen. Ihr Herzpochen fiel in den Chor der Zerstörung ein. Sie kämpfte gegen diesen Ruf an, so wie der Rauch gegen den Nebel ankämpfte. Doch ein anderer Teil von ihr, die Hexe in ihr, sang die Melodie ihrer Magik, erregt vom Knistern der blauen Flammen und dem Heulen des Windes.
Elena drückte die Augen fest zu, um den Anblick des aufgewühlten Himmels nicht ertragen zu müssen, konzentrierte ihre Aufmerksamkeit ganz auf sich selbst und ihre Atmung. Sie vertiefte sich in ihren Körper und erforschte Muskeln und Sehnen, Nervenstränge und Knochen, Blut und Eingeweide. Sie nahm die Wundheit an der Innenseite ihrer Schenkel wahr, eine Folge des langen Reitens, spürte das Pochen eines Blutergusses, wo sie mit der Schulter gegen einen tief hängenden Ast geprallt war, fühlte die Zartheit ihrer sprießenden Brüste. Sie war mehr als nur Ströme geheimnisvoller Magik: Sie war eine Frau, und das reichte ihr.
Eine Stimme riss sie aus ihrer Versunkenheit. »Elena, du hast genug zerstört. Komm zurück.« Es war Er’ril. Er saß immer noch auf seinem Zugpferd neben ihr. Jetzt war nicht die Zeit, um sich von der grausamen Schönheit der knisternden Strömungen ihrer Magik davontragen zu lassen. Langsam schloss sie die erhobene Hand. Sie hatte das Gefühl, als ob ihre Finger gefroren wären. Für einen Augenblick befürchtete sie, ihre Fingerkuppen würden abbrechen, als sie die Hand mit Willenskraft zwang, sich zur Faust zu ballen. Doch ganz allmählich, einer nach dem anderen, wie eine Blüte, die sich zur Mitternacht schließt, schlossen sich ihre Finger zur Faust und unterbrachen den Strom des kalten Feuers. Die Spuren von Magik, die immer noch in ihr vorhanden waren, schrien bei dieser Unterbrechung auf. Ihre Hand zitterte vor überschüssiger Kraft. Mehr!, sang ihr Blut. Koste das ganze Ausmaß deiner wilden Magik! Ein Finger streckte sich langsam wieder aus.
Wieder tönte eine Stimme dazwischen. »Nein!« Doch diesmal war es nicht Er’rils abgehackter Standi-Akzent. Es war Elenas eigene Stimme, die laut zu der Magik innen und außen sprach. Sie ballte die Faust fester und spürte ihren eigenen Herzschlag in der Handfläche. Sie erreichte - wiederum allein durch ihre Willenskraft -, dass sich das fieberhafte Pochen beruhigte. Ohne die Augen zu öffnen, wusste sie, dass das helle Leuchten ihrer Hand nun wieder zu einem gewöhnlichen Fleck verblasst war. Sie ließ die Faust in den Schoß sinken.
»Süße Mutter, Kind!« sagte Kral, der sein Schlachtross hinter sie lenkte. »Schau dir das an!«
Elena öffnete die Augen, und zum ersten Mal sah sie das Ergebnis ihrer Magik. Die bewaldete Senke lag jetzt wie eine Silberstichplatte da, jeder Stamm, jeder Ast, jedes Blatt überkrustet mit Reif. Tausend Speerspitze Zapfen aus trübem Eis reckten sich von Stämmen und Ästen, und manche waren so lang wie ein Mann hoch. Doch anstatt zum Boden zu zeigen, ragten diese glitzernden Dornen waagerecht von ihren Ansatzstellen im Holz weg, weg von Elena, als ob ein schrecklicher Wind aus ihrer Richtung geweht hätte. Und sie wurde sich bewusst, dass das in gewisser Weise zutraf.
Während Elena ihr Werk begutachtete, klarte der Himmel für einen
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