Alasea 03 - Das Buch der Rache
als der Lichtschein stärker wurde. Bald darauf bog die Flamme einer Fackel um die Ecke. Elena versuchte, das grelle Licht der Fackel zu durchdringen, aber die Gestalt hielt die Flamme direkt vor ihren Körper, sodass die Helligkeit alle Einzelheiten verschlang.
Zumindest handelte es sich nur um eine Person. Dennoch wagte Elena kaum weiterzuatmen, aus Angst, sie könnte die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich lenken. Als sie endlich doch einen Blick auf das Gesicht des Eindringlings werfen konnte, zuckte sie vor Schreck zusammen. Sie würde das schwarze Haar, das rötliche Gesicht und die sturmgrauen Augen überall auf der Welt wieder erkennen. Es war Er’ril!
Elena machte einen Schritt auf ihn zu, aber Er’ril konnte sie natürlich nicht sehen. Sein Blick fiel auf Flint, der auf dem Boden lag und vom Lichtschein erfasst wurde. Er’ril eilte zu ihm.
Elena hob eine Hand und wollte nach ihm rufen. Aber da hob Er’ril mit der einen Hand die Fackel höher und wischte sich mit dem Rücken der anderen Hand über die Stirn. Elena stolperte zurück und fiel beinahe über Flints Leiche. Er’ril hatte zwei Arme! Fast blind vor Entsetzen, wich Elena zur Seite aus, als Er’ril neben Flint niederkniete.
Er warf die Fackel fort und beugte sich über den toten Mann. Seine Hände schwebten über der Leiche, als könnte er nicht glauben, was er sah. Da bemerkte Elena, was Er’ril in der anderen Hand hielt: ein altes, zerlesenes Buch. Als er es am Boden ablegte, trat Elena einen kleinen Schritt vor. Sie entdeckte die mit Gold umrandete Rose auf dem Einband und zwinkerte überrascht. Sie musste sich die Hände vor den Mund halten, um einen Seufzer zu unterdrücken. Sie erkannte das Buch, das Er’ril ihr einst beschrieben hatte.
Das Buch des Blutes.
»Flint…«, Er’rils Stimme lenkte sie von dem Buch ab. Vorsichtig drehte er Flints Kopf zu sich, sodass der Silberohrring zum Vorschein kam, und schlug die Hand vors Gesicht. Seine Finger waren schwarz vom Ruß der Fackel. »Flint, das alles ist meine Schuld. Ich… ich habe dir das angetan.«
Er’rils Schuldeingeständnis verwirrte Elena. Es klang aufrichtig und tief empfunden, aber warum? Aus welchem Grund sollte Er’ril an Flints Tod schuld sein? Und warum hatte er plötzlich zwei Arme? Joachs Traum kam ihr wieder in den Sinn: Er’ril hatte darin zwei Arme besessen und war über eine Turmtreppe hinter ihnen hergejagt, mit Mordlust in den Augen. Konnte sie es wagen, diesem Mann zu trauen? Nachdem sie Er’ril nur mit einem Arm kannte, wirkte dieser zweiarmige Mann wie ein Fremder auf sie, noch dazu mit nacktem Oberkörper. Es veränderte sein gesamtes Erscheinungsbild.
Elena blieb ruhig. Sie war in Sicherheit, solange sie sich versteckt hielt. Sie würde Joachs Warnung beherzigen und auf der Hut sein fürs Erste.
Er’ril nahm das Buch und richtete sich auf. Dabei berührte seine Fußspitze den zurückgelassenen Hexendolch. Er blickte hinunter und erkannte ihn sofort. Verwundert hob er ihn auf und drehte ihn in der Hand. Natürlich erkannte er die Waffe. Er’ril blickte auf und spähte in den Gang, als fände er dort eine Antwort. »Flint, du Narr, du hast sie hierher gebracht.«
Er’ril hielt den Dolch hoch, dann schob er die Klinge in seinen Gürtel. »Elena«, sagte er mit rauer Stimme, und seine Augen blitzten auf, »wenn du hier bist, werde ich dich finden.«
Elena schreckte vor dem Feuer in Er’rils Blick zurück. Noch nie zuvor hatte sie den Präriemann so wild entschlossen gesehen. In der Vergangenheit hatte er sich warmherzig, rücksichtsvoll und hilfsbereit gezeigt. Aber das, was Elena nun sah, ging viel tiefer. In ihm brannte ein Feuer mit einer Inbrunst, die sie beunruhigte. Genauso wie den neuen Arm hatte Elena auch diese Seite Er’rils bislang noch nicht gekannt.
Woher kam sie? War sie natürlich oder unnatürlich? Sollte diese neue Entschlossenheit Elena retten oder töten?
Während Elena darüber nachdachte, nahm Er’ril die Laterne des Bösewächters auf, und nach einem letzten Blick auf Flint machte er sich schnellen Schrittes auf den Weg zur fernen Oberfläche.
Elena lehnte den Kopf gegen den kühlen Stein der Katakomben. Dann stieß sie den Atem langsam aus und nahm die Verfolgung dieses rätselhaften, zweiarmigen Fremden auf. Sie gab die Hoffnung nicht auf, dass Er’rils Geist doch rein war. Das konnte sie nicht! Besonders, da er die Rettung A’loatals in seinen Händen trug: das Buch des Blutes.
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Pinorr schritt in der Kajüte
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