Alasea 03 - Das Buch der Rache
Morgendämmerung tun. Sie lauschte den Musikanten: den Trommeln, den klimpernden Lauten und den zweideutigen Gesängen der Menschen, die froh waren, noch am Leben zu sein. Doch aus all den lustigen Klängen war auch etwas Trauriges herauszuhören. Das Gelächter klang manchmal angestrengt, und so mancher Ruf aus der Runde der Feiernden wurde unter Tränen ausgestoßen.
Nachdem sie ihre Pflicht erfüllt hatte, hatte sich Elena so bald wie möglich in ihre Gemächer zurückgezogen und das Buch des Blutes mitgenommen. Sie brauchte einige Augenblicke der Ruhe, um Tante Filas Geschichte von den Zwillingsgeistern Chi und Cho zu überdenken, deren Schicksale das ihre kreuzten. Doch sie schüttelte den Kopf. Das war zu viel für eine Nacht. Sie würde erst einmal Tante Filas Rat beherzigen und sich ausruhen. Beim nächsten Vollmond würde sie dann hoffentlich mehr erfahren.
Sie blickte hinunter auf das Buch des Blutes in ihren Händen, fuhr mit dem Finger den geschwungenen Stiel der Rose nach und berührte die warme Blüte in der Mitte. So viele Leben waren für dieses Buch geopfert worden.
Da hörte sie hinter sich eine Stimme. »Elena?«
Sie drehte sich um und erblickte Er’ril. Wie lange hatte er schon dort gestanden? Er trug noch immer die edlen Abendgewänder, aber seine Augen leuchteten in einem neuen Licht, das sie nicht zu benennen wusste. Die Brise, die auf dem Turm wehte, hatte sein Haar gelöst, das ihm nun ins Gesicht flatterte.
»Ich wollte dich nicht stören«, sagte er leise. »Aber Tol’chuk hat dich unten vom Hof aus gesehen. Es ist nicht gut, wenn du dich in einer Nacht wie dieser allein zeigst.« Er kam näher. »Als dein Paladin sollte ich immer an deiner Seite sein, wenn du dich hinauswagst.«
Elena seufzte und drehte sich weg. Sie blickte zu den Sternen hinauf. »Können wir niemals auch nur eine Minute wie normale Leute leben, Er’ril?« fragte sie verärgert. »Hör doch. Die Musik spielt, und die Nacht ist wunderschön. Müssen wir uns ständig so verhalten, als könnten wir jeden Augenblick angegriffen werden? Kann ich nicht einmal so tun, als wäre ich keine Hexe? So handeln, als würde Alaseas Schicksal nicht davon abhängen, wohin ich als Nächstes meinen Fuß setze?«
Sie drehte sich um und stellte fest, dass Er’ril sie streng anschaute, eisern und entschlossen. Unter seinen Augen fühlte sie sich plötzlich wie ein trotziges Kind. Sie hatte kein Recht, sich zu beschweren, denn andere hatten so viel mehr als sie verloren. Sie senkte den Blick. »Es tut mir Leid…«
Er’ril ging wortlos zu ihr und reichte ihr den Arm.
Elena wusste nicht recht, was er von ihr wollte.
»Darf ich um diesen Tanz bitten?« flüsterte er ihr leise zu.
Elena konnte ihre Überraschung nicht verbergen. Doch dann erkannte sie die vertraute Weise aus dem Hochland, die der Wind aus dem Innenhof zu ihnen hinauftrug. Es war ein beliebter Tanz aus ihrer Heimat.
Ein Lächeln umspielte Er’rils Lippen, als auch er plötzlich die Melodie erkannte. »Es scheint, auch Tol’chuk fühlt deine Schwermut.«
Elenas Wangen färbten sich rot, als der Präriemann vor sie trat. Er’ril stand nun direkt vor ihr und breitete die Arme aus. Die nächtliche Brise wehte seinen warmen und vertrauten Geruch in ihre Nase. Noch bevor sie etwas dagegen einwenden konnte, nahm Er’ril ihre Hand. Er zog sie sanft in seine Arme, und zaghaft begannen sie sich zur Musik zu bewegen. Die ersten vorsichtigen Schritte auf dem Steinboden wirkten unbeholfen.
Bald hatten sie jedoch ihren Rhythmus gefunden und bewegten sich im Takt, immer schneller und ausgelassener. Elena ließ sich führen, sie kreiste und drehte sich zusammen mit dem größeren Mann. Er’rils Handfläche auf ihrem Rücken fühlte sich heiß wie eine Flamme an, während er sie belustigt herausforderte, mit ihm Schritt zu halten.
Als er sie schließlich immer schneller drehte, entfleuchte ihren Lippen sogar ein kleines Lachen, was Elena selbst überraschte.
»Für eine Hexe, von deren nächstem Schritt das Schicksal Alaseas abhängt, bewegst du dich ganz schön leichtfüßig«, meinte er mit einem schelmischen Grinsen.
Bald konnte Elena in seinen Armen gar nicht mehr aufhören zu lachen. Sie drehten sich und wirbelten umeinander, und die Sterne über ihnen begannen sich ebenfalls zu drehen. Die Welt jenseits des Turmes schien zu verschwinden. Es gab nur noch sie beide, die Musik und den Mond.
Dann, nachdem sie noch ein letztes Mal herumgewirbelt und beide völlig
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