Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
kommt jemand!«
Elena spähte aufmerksam in die Dunkelheit. Die vielen bernsteinfarbenen Augen bewegten sich nicht, aber sie hörte deutlich raschelnde Blätter und schlurfende Schritte. Die anderen hoben ihre Schwerter.
Zwei dunkle Gestalten lösten sich aus der Finsternis. Eine hatte die gelb leuchtenden Augen der Si’lura. Sie blieben am Rand des Feuerscheins stehen.
»Wer da?« rief Günther und trat vor. »Was wollt ihr?«
Eine Stimme antwortete: »Ich bin es … Ni’lahn!«
Merik atmete erleichtert auf.
Günther sah sich nach den anderen um. Er’ril nickte und stellte sich neben ihn. Elena folgte ihm.
Die beiden Gestalten traten näher. Elena erkannte ihre Freundin und war beruhigt, obschon Ni’lahn ungewöhnlich blass war und einen Streifen geronnenes Blut auf der Stirn hatte.
Merik eilte zu ihr. Sie ließ sich von ihm in die Arme nehmen. »Hier bist du in Sicherheit.« Elena und Ni’lahn sahen sich über die Schulter des Elv’en Prinzen hinweg an. Die Augen der Nyphai widersprachen Meriks Worten.
Nun trat auch die zweite Gestalt in den Feuerschein. Ihr schneeweißes Haar leuchtete im rötlichen Licht. Sie strahlte eine Wildheit aus, die Elena an Ferndal erinnerte. Ihre Haltung war aufrecht, und sie zeigte keine Furcht vor den vielen Schwertern.
»Dorn!« flüsterte Bryanna erschrocken. Das musste der Name der Gestaltwandlerin sein.
»Du kennst sie?« fragte Elena und zog die Augenbrauen hoch.
Die Fallenstellerin nickte. »Sie hat uns den Rappen verkauft.«
Die Gestaltwandlerin sah sie aus ihren bernsteingelben Augen an. »Der Hengst war ein Köder«, sagte sie schlicht und verschränkte die Arme.
»Wie meinst du das?« fragte Elena.
Ni’lahn löste sich aus Meriks Umarmung. »Die Si’lura haben Rorschaff nach der Zerstörung des Steinkogels eingefangen«, erläuterte sie.
Dorn nickte. Ihre Stimme klang kalt. »Wir haben in den Packtaschen des Hengsts nach einer Erklärung gesucht, warum eine Nyphai und ihre Gefährten so verheerend in unseren Wäldern wüteten. Wir fanden nichts, was wir gebrauchen konnten, aber wir behielten das Pferd, für alle Fälle.«
»Dann hörten die Si’lura von der Explosion am Mondsee«, fuhr Ni’lahn fort. »Sie schleusten Rorschaff in Schierlingsdorf ein, der Ortschaft, die der verwüsteten Region am nächsten lag, und hofften, wer immer für die Zerstörung des Sees verantwortlich war, würde sich dort einfinden und das Pferd vielleicht wieder erkennen. Damit hätten sie eine Verbindung zwischen den beiden Ereignissen hergestellt.«
»Doch am Ende war das Pferd gar nicht nötig.« Dorn warf einen Blick auf Ni’lahn. »Während ich die Stadt beobachtete, nahm ich eine Witterung auf, die mir vertraut war.«
Ni’lahn wandte sich den anderen zu. »Sie halten uns für schuldig an den Katastrophen hier und oben im Norden.«
»Das ist doch lächerlich«, protestierte Er’ril.
Elena legte ihm die Hand auf den Arm. »Wir befinden uns auf ihrem Stammesgebiet, Er’ril.« Sie wandte sich an Dorn und spürte, wie sie aus dem Wald von hunderten von Augen beobachtet wurde. »Was verlangt ihr von uns?«
»Unser Stammesvater will, dass du vor unseren Rat trittst und eine Erklärung abgibst. Ihr werdet seinem Ruf Folge leisten müssen.«
»Dafür haben wir keine Zeit«, wandte Er’ril ein. »Wir müssen eine wichtige Verabredung einhalten.«
Ni’lahn trat näher. »Immer mit der Ruhe, Präriemann. Der Rat von Wischnu tritt an einem nur zwei Tage von hier entfernt in Richtung der Berge gelegenen Ort zusammen. Um unsere Handlungsweise zu rechtfertigen, brauchten wir nicht mehr als einen Tag, und diesen Zeitverlust könnten wir mithilfe der Si’lura leicht wieder aufholen.«
»Aber wir haben doch nichts verbrochen«, sagte Er’ril.
Ni’lahn zog eine Augenbraue hoch. »Wirklich nicht?«
Elena spürte Dorns Blick. Die Gestaltwandlerin stand stolz und aufrecht vor ihr, ihr Gesicht war wie eine Maske, aber aus ihren Augen sprach tiefe Traurigkeit.
Elena beendete die Auseinandersetzung. »Wir gehen mit ihnen«, erklärte sie.
Er’ril runzelte die Stirn und winkte sie beiseite. »Wir wissen viel zu wenig über die Gestaltwandler. Sie sind in den letzten Jahrhunderten fast völlig unter sich geblieben.«
»Aber sie gehören nicht weniger zu Alasea als die Menschen. Ihr Blut wurde vergossen, um Alaseas Reiche zu schützen, ohne dass man sie auch nur gefragt hätte, ob das auch mit ihrem Einverständnis geschähe. Sie haben einen hohen Preis entrichtet und
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