Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
müssen vielleicht noch mehr bezahlen. Dafür verdienen sie zumindest eine Erklärung. Dies ist ihr Land. Ich werde mir keine Schneise durch ihre Reihen brennen, nur weil uns ihr Ansinnen gerade nicht gelegen kommt.«
Er’ril ergründete mit einem festen Blick seiner sturmgrauen Augen ihre Entschlossenheit.
In Anbetracht seiner tief gefurchten Stirn spielte ein Lächeln um ihre Lippen. An sich war er bereits einverstanden, aber als ihr Beschützer hatte er Angst um ihre Sicherheit. Sie streckte die Hand aus und glättete mit dem Daumen zärtlich die Sorgenfalten um seine Mundwinkel.
Er legte seine Hand auf die ihre. »Elena …«, flüsterte er kaum hörbar.
Sie sah ihm in die Augen. »Du sagst, wir kennen diese Leute nicht. Aber wir kennen doch Ferndal. Er und auch Mogwied sind im Innersten edel und gerecht.«
»Ferndal vielleicht«, grollte er, »aber Mogwied ist aus anderem Holz geschnitzt.«
»Ich glaube, du musst ihm nur noch tiefer ins Herz schauen. Er ist in vielem empfindsamer als sein Bruder.«
»Wenn du meinst …« Ganz überzeugt war er immer noch nicht, aber er nahm ihre Hand von seiner Wange und küsste die Innenfläche. Als sie die Wärme seiner Lippen spürte, wurden ihr die Knie weich.
»Ich denke schon«, sagte sie, zog zögernd ihre Hand zurück und schloss sie, um die Wärme seiner Haut zu bewahren und diese andere Art von Magik in ihrem Herzen festzuhalten.
»Wir gehen also mit den Gestaltwandlern?« fragte er.
Sie nickte. »Es ist Zeit, sich anzusehen, was wir hinter uns zurücklassen.« Sie betrachtete die Schar von alten und neuen Gefährten. Auf Dorn blieb ihr Blick ruhen. »Wenn wir diesem Land eine Zukunft schaffen wollen, dürfen wir unsere Vergangenheit nicht vernachlässigen.«
Er’ril legte den Arm um sie. »Aber können wir auch die Gegenwart überleben?«
Sie lehnte sich an ihn. »Wir können es, wenn wir zusammenhalten.«
Greschym saß erschöpft und mit schmerzendem Hinterteil auf seinem Pferd und ließ sich durch die Gegend schaukeln. Es war kurz vor Tagesanbruch. Sie waren die ganze Nacht durchgeritten. Im Schutz des Si’lura Heeres hatten sie im dunklen Wald nichts zu befürchten.
Sie hatten den Hauptpfad verlassen und waren geradewegs durch den nächtlichen Wald gezogen. Ohne seine magikgeschärften Sinne hatte Greschym rasch die Orientierung verloren, und wenn er sich ansah, wie Er’ril immer wieder die Sterne und den Wald betrachtete, erging es dem Präriemann vermutlich nicht anders.
Anfangs hatten alle noch verstohlen miteinander geflüstert. Immer wieder hatte er Bruchstücke von längst bekannten Geschichten aufgefangen, zum Beispiel als Elena Bryanna erzählte, wie sie ihre Kräfte entdeckt hatte. Er hatte nur mit halbem Ohr hingehört und sich dabei schlafend gestellt. Das meiste war ihm nicht neu, doch hin und wieder hatte er eine Kleinigkeit aufgefangen, von der er noch nichts gewusst hatte. Besonders hatte er die Ohren gespitzt, als sie von dem Schwarzstein berichtete, der sich in Herzstein verwandelt hatte.
Darüber hatte er die ganze Nacht nachgegrübelt. Er hatte von dieser Eigenschaft noch nie gehört, aber er ahnte, dass die Lösung des Rätsels einen Schlüssel zu ungeheurer Macht darstellte.
Irgendwann waren alle verstummt. Die Müdigkeit hatte sie überwältigt. Nur das dumpfe Geräusch der Pferdehufe war noch zu hören. Die Gestaltwandler bewegten sich unheimlich lautlos durch ihre Wälder und waren im Dunkeln auch fast unsichtbar. Doch alle wussten, dass sie stets in der Nähe waren, denn hin und wieder leuchtete zwischen den Bäumen ein Paar bernsteingelber Augen auf.
Im Osten wurde es allmählich heller. Bei Sonnenaufgang wollten sie Rast machen, um gegen Mittag wieder weiterzuziehen. Die Gestaltwandlerin namens Dorn hatte angekündigt, sie würden bei Einbruch der Dunkelheit die Versammlungsstätte der Si’lura erreichen.
Greschym spürte, wie sich die Schlinge um seinen Hals fester und fester zusammenzog. Der ganze Wald wimmelte von Gestaltwandlern, und jeder schwere Huftritt brachte ihn Schorkan, der hinter den Bergen wartete, einen Schritt näher. Er war auf allen Seiten von Feinden umgeben.
Er tastete nach dem winzigen Magik Rest, den er in seinem Herzen bewahrt hatte. Es war nur ein Tröpfchen, nicht einmal genug, um seine Fesseln so weit zu lockern, dass die Stricke nicht mehr scheuerten. Aber er konnte damit tief in den Wäldern ein vertrautes Pochen spüren, den Herzschlag eines Wesens, das er fest an sich gebunden hatte,
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