Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Bosheit gefangen. Sie war frei!
Das Gebrüll kam von Ragnar’k. Sie saß auf seinem Rücken. Er grub seine Silberklauen in den Felsboden der Zelle und schlug mit den Schwingen. Eier kullerten von ihren Stapeln. Tentakelwesen flüchteten vor seinen Pranken. Saag wan war mit den Drachensinnen verbunden. Wenn Ragnar’k eins der üblen Geschöpfe mit seinen Klauen zerquetschte, spürte sie ein heftiges Brennen an den Fußsohlen.
Sie schluchzte laut auf, vor Freude, weil sie endlich frei war, aber auch, weil ihr der Kummer über die Gräuel, die sie begangen, das unschuldige Blut, das sie vergossen hatte, fast das Herz zerriss. In der Zeit ihrer Besessenheit hatte sie alles beobachten, alles erleben können, was mit ihr geschah, aber ihr Körper war ihrem Einfluss entzogen gewesen. Das Simaltrum war mit seinen schwarzen Fangarmen in ihre tiefsten Geheimnisse und Erinnerungen eingedrungen. Es hatte ihr den eigenen Willen entrissen und ihn durch Triebkräfte ersetzt, die schwärzer waren als der Grund des Meeres.
Der Drache machte einen Satz. Sie duckte sich, um sich nicht den Kopf an der niedrigen Decke zu stoßen. So wütend hatte sie Ragnar’k noch nie erlebt. Er raste vor Zorn, brüllte und tobte und schlug blind um sich. Sie drohte in der brodelnden Flut seiner Gefühle zu ertrinken, bis sie endlich erkannte, was ihn so in Rage versetzt hatte. Ein Blick in sein Herz zeigte ihr, dass sie es war, um die der Riese trauerte.
»Ragnar’k«, flüsterte sie. »Ich bin doch bei dir. Beruhige dich.«
Der Drache erstarrte mit erhobener Klaue mitten in der Bewegung. Leibgefährtin?
»Ja, mein Liebster. Ich bin es.«
Er ließ die Klaue sinken. Ich habe geträumt, du wärst von Fangarmen verschlungen worden, und ich hätte dich für immer verloren.
»Das war kein Traum«, flüsterte sie. Aber was tatsächlich geschehen war, konnte sie nicht sagen. Wieso war sie wieder frei? Sie hatte gespürt, dass Kast sie brauchte, hatte das Flehen in seinen Augen, die Liebe in seinem Herzen erkannt. Und sie hatte alle ihre Kräfte aufgeboten, um dieses Herz zu erreichen.
Dann war etwas explodiert … und jetzt war sie frei. Sie war wieder Herr über ihren eigenen Willen.
»Kast, mein Liebster.«
Aus zwei Herzen einem Drachen und einem Menschenherzen strömte Wärme in sie ein.
Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie wischte sie fort und sah sich um. Die Zellentür stand weit offen, aber die von den Simaltra beherrschten Männer waren verschwunden. Sie selbst war während ihrer Besessenheit zwar nicht in die geheimsten Pläne der Kreaturen des Herrn der Dunklen Mächte eingeweiht worden, aber sie wusste, dass sie Ragnar’k fürchteten und sich Kasts nur hatten bemächtigen wollen, um so den Drachen in Schach halten zu können. Seit Ragnar’k frei war, befanden sie sich auf dem Rückzug und entließen A’loatal aus dem Griff ihrer schwarzen Tentakel. Es war nur ein kleiner Sieg, die große Schlacht stand noch bevor.
Dann kam ihr zu Bewusstsein, dass noch jemand fehlte.
Hant war nicht mehr da.
Sie erinnerte sich, wie das Simaltrum in den Sohn des Großkielmeisters eingedrungen war, und wurde von Verzweiflung erfasst. Offenbar war sie die Einzige gewesen, die von Ragnar’ks Magik befreit worden war.
Ringsum flohen die Tentakelwesen vor der Wut des Drachen über Wände, Fußboden und Decke. Ragnar’k reckte den Hals und brüllte, um sie noch mehr zu erschrecken.
Die Wirkung war verblüffend.
Seine Stimme ließ die Kreaturen einschrumpfen und verdorren wie ein heißer Wind, sodass sie wie Klumpen geronnenen Blutes von der Decke und von den Wänden regneten.
Saag wan traute ihren Augen nicht. Bei früheren Gelegenheiten hatte Ragnar’ks Trompetenstimme den Schutzzauber der Skal’ten, der Dämonen des Schwarzen Herzens, gebrochen und sie verwundbar gemacht. Hier musste eine ähnliche Magik am Werk sein. Die dunklen Kräfte der Bestien konnten der Elementarenergie des Drachengebrülls nicht standhalten.
Immer mehr vertrocknete Klumpen fielen zu Boden. Lautlos ermunterte Saag wan ihren Gefährten, nicht nachzulassen.
Ragnar’k säuberte die ganze Zelle mit seiner Stimme. Die Horde verbrannte zu Asche. Er trampelte durch die aufgesprungenen Eier, trieb auch die letzten Simaltra heraus und vernichtete sie mit seinem Gebrüll. Saag wan spürte deutlich, mit welcher Genugtuung er den Raum durchschnüffelte und die Schleimwesen noch aus dem hintersten Winkel hervorscharrte.
»Waren das alle?« fragte sie. Sie hatte
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