Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
beugte sich vor.
Keuchend setzte Kast zu einer letzten Bitte an. »Saag wan …«
»Zu spät, mein Liebster.«
Dennoch sah Kast, wie ihr linkes Augenlid kaum merklich zuckte, und betete zur Mutter über sich, er möge Gehör finden. Er wusste, dass sich die Besessenen manchmal für einen Moment frei machen konnten. Dem Kapitän des verseuchten Elv’en Schiffes war es gelungen, Merik zu warnen und das Schiff zum Absturz zu bringen. Selbst Saag wan hatte sich in der Bibliothek kurz losgerissen. Er musste sie dazu bringen, es noch einmal zu versuchen nur für einen kleinen Augenblick.
Als sie ihm die Bestie entgegenstreckte, sah er ihr tief in die Augen und versuchte, in ihrem Inneren zu lesen. Er brauchte irgendeinen Anhaltspunkt, einen rettenden Hinweis. Es musste einen Grund geben, warum der Feind Ragnar’k benötigte. Sicherlich ging es ihm nicht nur um die Kräfte des Drachen. Wenn er solche Anstrengungen unternahm, musste mehr dahinter stecken.
Tatsächlich entdeckte er etwas, das ihm Hoffnung machte. Der Dämon strahlte ganz deutlich zwei Empfindungen aus: Angst und Erleichterung.
Kast ging ein Licht auf. Sie hatten Angst vor dem Drachen! Ragnar’k stellte in irgendeiner Weise eine Gefahr für ihre Pläne dar!
Kast kämpfte gegen das Gewicht auf seiner Brust an, holte tief Luft, nahm alle Liebe, alle Kraft seines Herzens zusammen und sprach den einen Satz, den Saag wan hoffentlich verstehen würde. »Ich brauche dich!«
Wieder zuckte das linke Augenlid. Die Hand mit dem Simaltrum stockte und begann ein klein wenig zu zittern.
»Ich brauche dich, Saag wan …«, flehte er wieder.
»Kast?« Die Stimme war sehr schwach, wie ein Flüstern im Wind, doch in seinen Ohren dröhnte sie wie Donnerhall.
»Jetzt, meine Liebste … Ich brauche dich jetzt!«
Die zweite Hand hob sich und bewegte sich zögernd auf ihn zu. Dann verharrte auch sie. Saag wan kniete mit ausgestreckten Armen vor ihm, gefangen im stummen Kampf zweier Kräfte in einer Hand das Ungeheuer, das ihn verderben sollte, in der anderen die Hoffnung auf Erlösung.
Kast spannte alle Muskeln an, aber das Gift war zu stark, sein Körper konnte es nicht besiegen. Er konnte nur den Kopf heben, die Wange vom Steinboden lösen und Saag wan die Drachentätowierung entgegenhalten. Das kostete ihn alles, was er hatte. Zum Sprechen reichte sein Atem nicht mehr, also übermittelte er ihr seinen Herzenswunsch nur mit einem flehentlichen Blick.
Und wieder wurde die Liebe vom Würgegriff der Dämonenmagik erstickt.
Das Licht in Saag wans Augen erlosch. Die Hand mit der Bestie setzte sich wieder in Bewegung. Ein höhnisches Grinsen umspielte ihre Lippen. Kast wollte zurückweichen, aber sein Körper war wie ein Anker, er konnte ihm nicht entkommen. Das Simaltrum berührte seine Haut. Der brennende Schleim verätzte ihm das Gesicht. Er wusste, dass er verloren hatte, und schloss die Augen.
Saag wan, ich liebe dich. Jetzt und für alle Zeit.
Er wartete auf die betäubende Wirkung der grünen Gase, wollte sich vor dem Grauen, der Trauer in die Bewusstlosigkeit flüchten. Doch bevor es dazu kam, berührte eine Flamme tausend Mal heißer als der Schleim des Simaltrums seine andere Wange. Er spürte, wie Finger über seinen Hals strichen, das Feuer weitertrugen, die Umrisse der Drachentätowierung nachzeichneten.
Durch den Schmerz drang ein Flüstern zu ihm wie ein lindernder Balsam, und die Qual verwandelte sich in helles Entzücken. »Ich brauche dich …«
16
Tyrus und die anderen wichen zum Feuer zurück. Vom Meer hatte sich dichter Nebel hereingewälzt, der die Küstenklippen verhüllte und ihre Welt auf den kleinen Park zusammenschrumpfen ließ. Sogar das Städtchen war von den Schwaden verschluckt worden.
Die eigentliche Bedrohung war jedoch nicht so ohne weiteres verschwunden. Von allen Seiten drang unaufhörlich ein gieriges, blutrünstiges Zischen auf sie ein. Hin und wieder huschte ein dunkler Schatten durch den Nebel.
»Wenn die Suppe noch dicker wird«, murmelte Blott, »sehen wir die Waffen in der eigenen Hand nicht mehr.«
»Ruhe bewahren«, mahnte Tyrus. Er hob sein Schwert und prüfte, wie stark der Wind war. »Vielleicht ist der Nebel für uns ebenso von Vorteil wie für die Kobolde.«
»Wieso?« flüsterte Schlag. »Meinst du, wir könnten uns davonstehlen?«
»Die Drak’il sind Meeresbewohner. Wenn es uns gelingt, uns unbemerkt aus der Stadt zu schleichen und den Wald dahinter zu erreichen, verzichten sie möglicherweise auf eine
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