Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
aus dem Rauch erhoben hatte, war unverwechselbar: die schwarzen Schwingen, der scharfe Schnabel, die Feueraugen. Sie hatte den Schatten des Wyvern gesehen. Nun hatte sie Gewissheit. Das letzte Wehrtor lag im Herzen der Grube.
Mit schwerem Herzen ließ Cassa Dar das verwüstete Gebiet hinter sich zurück. In zwei Tagen würde sie wiederkommen sie und alle anderen.
Sie hatten keine andere Wahl.
Das Sumpfkind fröstelte, und Cassa Dar sprach in ihrem fernen Turm ein leises Gebet: »Mutter über uns, sei uns allen gnädig.«
»Hast du deine Entscheidung getroffen, mein Junge?« Joach stützte sich auf seinen Stab, schaute finster auf
Greschym hinab und ballte die behandschuhte Hand. Er musste sich sehr beherrschen, um dem Dunkelmagiker nicht das zufriedene Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. Aber Greschym hatte das Wissen, das er brauchte.
Der Dunkelmagiker saß auf einem schimmeligen Strohhaufen in seiner ›Zelle‹, einer kleinen Grotte am Ende eines blinden Tunnels, der von der Haupthöhle der Og’er abging. Man hatte ihm die Arme hinter dem Rücken gefesselt und die Beine an den Knöcheln zusammengebunden. Den Anfang des Tunnels den einzigen Ausgang bewachten zwei mit Keulen bewaffnete Og’er.
»Die Sonne ist untergegangen«, drängte Greschym. »Wie hast du dich entschieden?«
Joach hielt sich an seinem Steinstab fest und ging mit knirschenden Gelenken in die Knie. »Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen wenn ich dir die Freiheit gebe, bringst du mir bei, meinen Schöpfungen Leben einzuhauchen, und gibst mir die Winter meiner Jugend zurück, die du mir gestohlen hast.«
»Die Hälfte der Winter. Die Hälfte«, verbesserte Greschym. »So war es abgemacht.«
»Und wenn du frei bist, gehst du von hier fort.«
»Was glaubst du, was mich hier noch hält? Soll ich mich noch einmal einfangen lassen?«
Joach kniff misstrauisch die Augen zusammen. Konnte er dem Dunkelmagiker vertrauen? Natürlich nicht, aber ebenso wenig konnte er es sich leisten, diese einmalige Chance zu verpassen. Den ganzen Tag hatte er die Traumrose angesehen, an ihr gerochen, die grünen Blätter berührt. Bei Sonnenuntergang hatte er sie vor den Höhlen eingepflanzt, damit die neuen Würzelchen frische Erde bekämen. Dann hatte er vor der Blume gewacht, bis die Sonne verschwunden war. Sie war wahrhaftig am Leben. Für diese Magik war er bereit, alles zu geben.
Er beschwor das Bild eines Mädchens mit nachtblauen Augen und mit einer Haut von der warmen Farbe des Wüstensandes herauf. Alles wirklich alles würde er tun, nur um sie wieder berühren, ihr Lächeln im Mondlicht sehen zu können.
Greschyms Augen funkelten im Schein der Fackeln, der vom Tunnel in die Grotte fiel. Ein rätselhaftes Lächeln umspielte seine Lippen, ein Lächeln mit einer Spur von Traurigkeit.
Joach senkte die Stimme. »Verrate mir zuerst, wie du diese Blüte ohne Magik zum Leben erwecken konntest. Dafür schneide ich dir die Fesseln durch.«
»Und dann?«
»Bringe ich dich an den Wächtern vorbei. Sobald du draußen bist, gibst du mir meine Jahre zurück und verlässt diese Berge.«
Greschym nickte. »Dazu brauche ich ein Pferd.«
Joach überlegte kurz, dann seufzte er. »Einverstanden.«
Greschym wälzte sich auf die Knie. »So mag der letzte Tanz beginnen. Um zu verstehen, was ich mit der Rose angestellt habe, musst du begreifen, was es mit den Lebenskräften auf sich hat, jenen Energieströmen, durch die sich das Leben vom Tod unterscheidet.« Der Dunkelmagiker sah ihn eindringlich an. »Die Lebenskraft ist für alle Wesen gleich, bekommt aber durch die Seele jedes Einzelnen ein Muster aufgeprägt. Der Geist durchdringt die Energie, er formt sie, wenn du so willst, und macht sie zu etwas Einmaligem.«
»Was hat das mit der Rose zu tun?«
»Dazu komme ich gleich, mein Junge. Du hast zwar das Gesicht eines alten Mannes, aber du bist so ungeduldig wie ein vorlauter kleiner Bengel.«
»Weiter«, drängte Joach, verärgert über die gutmütige Schelte des Dunkelmagikers.
Greschym seufzte. »Wie du ja weißt, habe ich dir eine ordentliche Portion deiner Lebenskraft gestohlen. Das hat dich altern lassen und mich jünger gemacht.«
Joach packte der Zorn, aber er biss sich auf die Zunge und ließ den Magiker reden.
»Ich musste sie dir gegen deinen Willen entreißen, und das ist nicht so einfach … denn wenn die Lebensenergie erst ein Muster hat, ist es unveränderlich. Es lässt sich nicht mehr beeinflussen. Die Lebenskraft, die mich jung
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