Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Stirn tiefe Furchen bildeten. »Der Elv’en Kapitän sagt, der Mond geht morgen sehr früh auf, noch bevor die Sonne vollends untergegangen ist.«
Für Elena war das nicht neu. Sie war randvoll mit Magik und spürte die Phasen des Mondes im Blut wie die Schläge ihres eigenen Herzens.
»Mond und Sonne gemeinsam am Himmel«, murmelte Joach. »Weißt du noch, wie Vater dazu immer sagte?«
Elena lächelte. »Ein Narrenmond.« Sie seufzte. »Ein Mond, der nicht einmal weiß, dass die Sonne noch nicht untergegangen ist.«
Joach wandte sich vom Pult ab und lehnte sich auf seinen Stab. »Und wohin sind wir beim Aufgang dieses Narrenmondes unterwegs?« Er grinste müde. »Wer sind hier wohl die wahren Narren?«
Elena nahm ihr Schwert ab, setzte sich auf das Bett und legte sich die Klinge in der Scheide über die Knie. Joach nahm einen kleinen Schemel und tat mit seinem Stab das Gleiche. Sie sah ihren Bruder an und hielt Rückschau auf ihr gemeinsames Leben. Wie kam es, dass sie in diesem Raum beisammen saßen, jeder mit seiner besonderen Magik belastet?
Sie schwiegen lange. Bis auf den Regen, der unentwegt über ihnen auf das Deck prasselte, war alles still. Endlich sagte Elena: »Du wolltest über Kesla sprechen?«
Joach streifte das Buch des Blutes mit raschem Blick und nickte. »Ich glaube, ich habe einen Weg gefunden, um sie zurückzuholen.«
Elenas Stimme verriet, wie erschrocken sie war. »Zurück von den Toten?«
Joach schluckte hart. »Sie war ein Fleisch gewordener Traum. Kann so etwas wirklich sterben?« Er hob den Kopf und sah Elena an. Der Schmerz strahlte ihm aus den Augen. »Ich habe meine Fähigkeiten weiterentwickelt. Ich glaube, ich kann ihr Bildnis in diese Welt holen. Aber …«
»Aber solltest du es auch tun?« fragte Elena leise. »Eine Seele gewaltsam in einen Körper zurückzutreiben, das riecht nach schwärzester Magik. Denk nur an Rockenheim oder an Vira’ni. Man soll die Toten ruhen lassen. Es ist die letzte Gnade, die ihnen die Mutter erweist.«
»Und was ist mit Ni’lahn? Sie ist gestorben und doch wiedergekommen.«
Elena schüttelte den Kopf. »Sie ist eine Nyphai. Nicht sie ist gestorben, sondern nur ihre Schale, der Körper, den sie trug. Ihre Seele blieb auf Erden, geborgen in der Magik ihres Waldliedes.«
»Ist es mit Kesla denn so viel anders? Sie wurde aus der Magik des Landes geschaffen. Wer weiß, ob ihre Seele zur Mutter eingegangen ist?«
Elena runzelte die Stirn. Vielleicht hatte Joach Recht, aber ihr war dieser Weg zu dunkel, zu unheimlich. »Was du verlangst …«, murmelte sie und schüttelte den Kopf.
»Wer sagt, dass ich etwas verlange?« fauchte er.
Elena sah ihm in die Augen. Der Schmerz war in Verbitterung umgeschlagen. Seine Finger krallten sich um den Stab. »Joach …«
»Wenn es nun Er’ril wäre?« entfuhr es ihm.
Elena öffnete schon den Mund, um entrüstet von sich zu weisen, dass sie jemals zu solchen Mitteln greifen würde. Doch dann merkte sie, dass sie auf diesem Bett, wo sie noch kurz zuvor alles Herz, Seele und Körper mit Er’ril geteilt hatte, nicht mit Sicherheit sagen konnte, wie ihre eigene Entscheidung ausfallen würde. »Wie … was bringt dich überhaupt auf die Idee, dass dir so etwas gelingen könnte?«
Joach streckte beide Hände aus. »Ich habe es doch schon bewiesen. Ich habe dir gezeigt, dass ich eine greifbare Erscheinung meiner verlorenen Hand erzeugen kann, aber diese Hand war nur ein totes, gefühlloses Ding.« Er ballte die Faust. »Und nun sieh sie dir an! Sie lebt und ist wieder ganz und gar ein Teil von mir selbst.«
»Du hast gesagt, du hättest sie zusammen mit deiner Jugend zurückbekommen … nach Greschyms Tod.«
Er winkte mit der neuen Hand ab. »Es war nicht ganz so einfach, aber das ist schwer zu erklären. Entscheidend ist nur, dass ich, nachdem Greschym fort war, Dinge tun konnte, die mir vorher nicht möglich waren.«
Elena spürte hinter diesen Worten eine verborgene Bedeutung, sagte jedoch nur: »Eine Hand ist keine Person. Eine Hand besitzt keine unverwechselbare Seele.«
»Aber auch das ist machbar«, beharrte Joach. »Ich verfüge über das Wissen und die Fähigkeiten. Nur … nur eines fehlt mir noch.«
»Und das wäre?«
Wieder wanderte sein Blick zu dem Buch auf dem Tisch. »Mehr Lebensenergie. Der Zauber, mit dem man ein Traumgebilde zu wahrem Leben erwecken kann, erfordert mehr Energie, als ich aufbringen kann.«
»Wie viel mehr?« fragte sie, stand auf, legte das Schwert auf das Bett und
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