Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Dunkelmagiker stand schwankend auf der anderen Seite des zackigen Lochs. Der Saum seines Umhangs war versengt. Er fand rasch das Gleichgewicht wieder, drehte sich um und hob das Schwert. »Nicht schlecht, mein Kind«, brummte er anerkennend.
»Aber eine zweite Chance bekommst du nicht. Das Schwert schützt mich sogar vor deiner Magik.«
Er hatte Recht, und Elena wusste es. Sie hatte das Schwert ja selbst in Händen gehalten. Es würde seinen Träger immer beschützen. »Nimm meinetwegen das Schwert mit«, sagte sie und stand auf. »Aber am Buch des Blutes wirst du dich nicht vergreifen, das lasse ich nicht zu.«
Greschym betrachtete nachdenklich das Buch; zwischen ihm und dem Pult lag das glimmende Loch. »Darüber ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, mein Kind! Das kann ich dir versichern.«
Er trat vor und schickte sich an, mit seiner Beute in die Tiefe zu springen. Elena spürte, wie die Magik die Luft zum Knistern brachte.
Aus dem Augenwinkel bemerkte sie eine rasche Bewegung. Er’ril schnellte zur Seite und rollte sich ab. Im Fallen zog er einen Dolch aus seinem Stiefel und warf ihn mit der Zielsicherheit des erfahrenen Gauklers. Die Klinge traf das Handgelenk des Magikers und durchtrennte es.
Greschyms Schwertarm wurde nach hinten gerissen. Schattenklinge entfiel seinen kraftlosen Fingern und schlitterte klirrend bis vor den Ofen. Dort blieb das Schwert liegen.
Der Dunkelmagiker hatte weniger Glück. Er verlor das Gleichgewicht und kippte langsam durch das Loch. Ein ungläubiger Aufschrei löste sich aus seiner Kehle. Seinen Stab hatte er zurückgelassen, das Schwert hatte er verloren, nun blieb ihm keine Magik mehr, um den Sturz zu bremsen.
Laut kreischend verschwand er in der Tiefe.
Er’ril kniete am Rand des Loches nieder. Elena gesellte sich zu ihm.
Der Dunkelmagiker schlug mit Armen und Beinen, drehte sich kopfüber um die eigene Achse und landete schließlich auf einem der kahlen Obstbäume. Die Spitze des abgebrochenen Stamms bohrte sich in seinen Unterleib. Er rutschte noch ein Stück weiter, ehe er auf halber Höhe stecken blieb und sich nicht mehr regte.
Sein Tod setzte den Fesselbann außer Kraft. Joach sank zu Boden.
Elena musste an Tante Mikela denken. Die hatte sie einmal gewarnt, sich nicht allein auf die Magik zu verlassen. Jetzt hatte sie die Bestätigung erhalten. Schattenklinge, einer der stärksten Magik Talismane aller Zeiten, hatte gegen einen ganz gewöhnlichen standischen Dolch versagt.
Er’ril legte Elena die Hand auf die Schulter und zog sie zurück. Da trat von der anderen Seite Joach schwer atmend an das Loch. Er war bleich vor Wut. In den Händen hielt er Greschyms Knochenstab.
»Noch nicht«, sagte er, und es klang fast wie ein Stöhnen. Seine Lippen bewegten sich weiter, aber man hörte nichts mehr.
Elena spürte die Kälte, die von ihrem Bruder ausging. »Joach … lass doch. Es ist vorüber.«
Er achtete nicht auf sie. Seine Lippen waren ganz blau geworden. Er hob den Stab, richtete ihn nach unten und zeigte mit einem letzten lautlosen Wort auf den blutigen Baum.
Aus dem Ende des Stabes fuhr eine schwarze Flamme: Bösefeuer. Der Strahl raste durch den düsteren Morgen, zog alle Schatten an sich und traf den Baum. Kochender Saft und brennende Rindenstücke spritzten auf und wurden weit in die Gegend geschleudert. Als das Bösefeuer den aufgespießten Körper erreichte, fuhr eine schwarze Lohe himmelwärts. Ein Schrei der Verdammnis schwebte mit ihr in die Lüfte und verklang erst nach einer Ewigkeit. Zurück blieben nur rauchende Trümmer. Aus dem qualmenden Baumstumpf züngelten die Flammen.
»Diesmal ist er endgültig tot«, murmelte Joach. Der Knochenstab zerfiel ihm unter den Fingern, und die Asche regnete durch das Loch. Er drehte sich um, ging mit steifen Schritten zur Tür und verschwand ohne ein weiteres Wort.
Elena war zu keiner Bewegung fähig. Einerseits war sie froh, dass Greschym, das Ungeheuer, das ihre Eltern ermordet und ihren Bruder so grausam gequält hatte, endlich tot war. Andererseits hatte sie das Gefühl, eine Niederlage erlitten zu haben. Sie löste den Blick von dem qualmenden Stumpf und schaute zur Tür. Wer war hier nun wirklich der Sieger?
Ihre Kleider waren versengt. Er’ril holte eine Decke und legte sie ihr um die Schultern. Der helle Klang der Hörner schallte durch das Loch und erinnerte sie beide daran, dass da unten noch ein anderer Krieg tobte.
Er’ril hob sie auf und hielt sie in den Armen, bis sie zu zittern
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