Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
hervorquoll.
So viel Macht hätte sie dem Bäumchen niemals zugetraut. Jede Blüte war eine lodernde Magik Fackel, die alle Sterne überstrahlte.
Allmählich kamen ihr Zweifel an ihrer Entscheidung, den Baum zu verschonen.
Er’ril bemerkte ihre Bestürzung. »Alles in Ordnung?« fragte er.
Sie drängte ihre Ängste zurück und nickte. Wenn sie ihre Bedenken äußerte, würde Er’ril sich nicht mehr davon abhalten lassen, den Baum auf der Stelle zu vernichten. So gab sie nur das Zeichen zum Beginn der Zeremonie.
Ni’lahn kniete neben dem Jungen nieder und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Rodricko nickte, ohne den Baum aus den Augen zu lassen, und begann, sich aus seinen Stiefeln zu kämpfen.
Währenddessen hatte Elena Zeit, ihn zu beobachten. Die Elementarflamme in seiner Brust loderte ungewöhnlich hell. Noch ungewöhnlicher waren freilich die Bande zwischen dem Jungen und seinem Baum. Der gewaltige Energievorrat im Inneren des Schösslings war durch silbrige Fäden mit dem Flämmchen in Rodrickos Herz verbunden. Elena sah, dass Ni’lahn sich nicht geirrt hatte. Die beiden waren nicht mehr zu trennen. Wenn der Baum zerstört würde, stürbe auch das Kind.
Endlich hatte sich der Junge von den Stiefeln befreit und richtete sich auf.
Ni’lahn schaute zum Himmel und hockte sich auf die Fersen zurück. Aus ihren Zügen sprach tiefe Sorge. Der Mond stieg weiter zu den Sternen empor. Es war eine herrlich klare Nacht. Nur über dem Horizont schwebten dünne Nebelschwaden.
»Geh, Rodricko«, sagte Ni’lahn und nahm ihre kleine Laute von der Schulter. »Wecke deinen Baum.«
Der Junge gehorchte. Seine Füße versanken im weichen Erdreich. Unter den Ästen angekommen, streckte er die Arme nach einer einzelnen geschlossenen Blüte aus, berührte die schwarzen Blütenblätter aber nicht, sondern umschloss sie nur mit seinen kleinen Händen.
Die Blüte leuchtete auf und schwoll an. Ein silbriger Schein ergoss sich über den ganzen Hof.
»Sing«, flüsterte Ni’lahn. »Der Mond ist aufgegangen.«
Rodricko streckte sich. Das Mondlicht zeichnete harte Schatten auf seine kindlichen Züge. Ohne dass er die Lippen bewegte, entströmten ihm liebliche Töne, ein leises Stöhnen, als pfiffe der Wind durch dicht belaubte Äste, ein Seufzen, als fielen im Herbst die Blätter von den Bäumen.
Ni’lahn hatte beide Hände angstvoll an die Kehle gelegt, doch dabei strahlte sie vor Stolz.
Verglichen mit dem, was die Nyphai hörte, verhielt sich die Musik, die Elena vernahm, sicher nur wie eine einzelne Note zu einem ganzen Chor. Dafür konnte sie das Spiel der Magik im Inneren des Baumes beobachten. Die Kraft wallte auf. Die Silberfäden, die den Jungen mit seinem Baum verbanden, verfestigten sich. Neue Fasern sprossen aus dem Stamm und hefteten sich an den Jungen.
Seine Stimme wurde lauter, voll tönender, tiefer.
»Es ist so weit«, sagte Ni’lahn.
Er’ril richtete sich auf und hob die Axt. Elena zweifelte nicht daran, dass er den Baum mit einem einzigen Hieb fällen konnte.
Ein flackerndes Elementarflämmchen zog ihren Blick auf die andere Seite. Joach war schlurfend näher gekommen und kniff nun die trüben Augen zusammen, um besser sehen zu können. Der Stab, auf den er sich stützte, war eine einzige Flammensäule, ein unermesslich reicher Quell an Elementarenergie. Elena sah ihren Bruder fassungslos an. Er war ein Elementargeist mit einer besonderen Begabung für die Traum Magik, daher trug er die vertraute Flamme in seinem Herzen. Doch außerdem war er durch feurige Fäden mit dem Stab verbunden.
Bevor Elena sich zu dieser erstaunlichen Beobachtung äußern konnte, rief Ni’lahn: »Die Knospen öffnen sich!«
Elena wandte sich wieder dem Baum zu. Nach diesem seltsamen Phänomen konnte sie Joach auch später noch fragen.
Eine wundersame Verwandlung war im Gange. Zwischen Rodricko und dem Schössling loderten Elementarflammen auf. Der Junge verschwand in ihrem grellen Licht. Elena war vermutlich die Einzige, die den Magik Fluss sehen konnte, denn von den anderen zeigte keiner eine Reaktion. Selbst Ni’lahn kniete vor Angst wie gelähmt hinter ihrem Sohn.
Rodricko hielt weiter die Blüte umschlossen und sang. Zwischen seinen Handflächen entfaltete sich die Knospe und öffnete sich dem Mondlicht.
Nach und nach folgten alle Knospen am Baum ihrem Beispiel. Aus den Blüten quoll Elementarenergie in schwarzen Wolken, die unter dem Gesang des Jungen erbebten. Elena glaubte fast, eine zweite Stimme einfallen zu
Weitere Kostenlose Bücher