Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
Stab rasch zu seiner mattgrauen Färbung zurück. Joach nahm ihn erst wieder in die Hand, nachdem er sich den Handschuh übergezogen hatte. Dann trat er an seinen Kleiderschrank. Er hatte genug von Träumen und Albträumen. Jetzt wollte er mit wirklichen Menschen zusammen sein.
Doch der Traum ließ ihn auch beim Ankleiden nicht los. Wieder sah er den Dunkelmagiker inmitten von blutigen, zerfetzten Tierleichen auf einer Waldlichtung stehen. Vor ihm steckte ein weißer Stab in der Erde, und darüber schwebte eine pechschwarze Wolke. Boshaft und voller Schadenfreude hatte er sich Joach zugewandt. Für den indes war Greschyms Aussehen der schwerste Schlag gewesen: das kupferrote Haar, die glatte Haut, die kräftigen Arme, der aufrechte Rücken und die blitzenden Augen. Joach hatte seine eigene Jugend vor sich gesehen, so nahe und doch unerreichbar, als wollte sie ihn zum Narren halten.
Seufzend warf er sich den Mantel über und humpelte zur Tür. Der Stab berührte mit dumpfem Ton den Steinboden. Joach schloss die behandschuhten Finger um das versteinerte Holz und spürte die Magik darin; sie half ihm, einen Entschluss zu fassen.
Als er die Tür erreichte, wurde von außen angeklopft. Unwillig öffnete er. Ein junger Page stand auf der Schwelle und verneigte sich. »Meister Joach, deine Schwester bittet dich, zu ihr in den Großen Hof zu kommen.«
»Warum?«
Die Frage traf den Jungen unvorbereitet. Er sah Joach groß an. »D das hat sie nicht gesagt.«
»Schön. Gehst du voran?«
»Ja, doch. Gewiss.« Der Junge sprang davon wie ein verschrecktes Kaninchen.
Joach folgte ihm mit unsicheren Schritten. Er kannte den Weg.
An der Treppe zum Haupttrakt blieb der Page stehen und sah sich um. Joach erkannte die Ungeduld in seiner Haltung … und die leise Angst in seinen Augen. Er konnte ihn gut verstehen, war er doch selbst schon als junger Diener eines gebrechlichen Greises durch diese Gänge gewandert. Nur waren jetzt die Rollen vertauscht.
Joach war nicht mehr der Junge.
Der Page stieg die Treppe hinab und verschwand.
Joach war jetzt der Greis, verbittert und erfüllt von finsteren Gedanken.
»Ich werde nicht aufgeben«, gelobte er, obwohl ihn niemand hören konnte.
3
Das letzte Sonnenlicht drang durch die Dämmerung. Elena stand mit den anderen im Großen Hof und betrachtete das Koa’kona Bäumchen, das vor den mächtigen Steinmauern, den hohen Türmen und Zinnen der Burg wie ein Spielzeug wirkte. Seine Knospen, schwarz wie Öl, hingen wie dicke Tropfen an den Stängeln. Elena wickelte sich fester in ihren Umhang.
»Der Baum zieht die Wärme an sich«, flüsterte Ni’lahn, die ein paar Schritte rechts von ihr stand. »Genau wie die Grim.«
Elena hatte viel von den Gespenstern von den Furchthöhen gehört, jenen Schattenwesen, die allem, was sie berührten, die Lebenskraft aussaugten.
»Still«, mahnte Merik, der neben der Nyphai stand. »Das ist nur der Wind, der vom Meer herüberweht.«
Der Elv’en Prinz nickte Elena zu. Als er ihr zum ersten Mal von den seltsamen Knospen erzählt hatte, hatte sie ihm aus vollem Herzen zugestimmt. Solange man nicht wusste, was das Ganze zu bedeuten hatte, sollte dem Baum kein Leid geschehen, schon um das Leben des Jungen nicht zu gefährden.
Nicht alle hatten so gedacht. »Wir gehen ein hohes Risiko ein, um ein einzelnes Leben zu schützen«, hatte Er’ril eingewandt. Doch Elena hatte es so strikt abgelehnt, sich zu einer Entscheidung drängen zu lassen, dass er sich schließlich fügte. Dennoch stand er jetzt mit einer Axt in der Hand neben ihr, und hinter ihm warteten zwei Gardisten mit Eimern voller Pech und mit brennenden Fackeln. Sollte sich ein Unheil abzeichnen, wollte sich der Präriemann nicht allein auf Magik verlassen.
Auch Elena hatte Vorsichtsmaßnahmen getroffen. Sie trug das Buch des Blutes in einem Beutel über der Schulter. Bald würde zum ersten Mal in diesem Sommer der Vollmond am Himmel stehen. Wenn sein Licht auf das Buch fiel, öffnete sich die Verbindung zur Leere, und Elena konnte an der unermesslichen Macht der Geister teilhaben. Ein Schauer überlief sie. Auf diesen Magik Quell wollte sie wirklich nur im Notfall zurückgreifen.
»Der Mond geht auf«, sagte eine Stimme hinter ihr und riss sie aus ihren Gedanken.
Sie drehte sich um. Auf dem Kiesweg stand Harlekin Qual. Er war bis hierher gekommen, ohne dass auch nur ein einziges seiner vielen hundert Glöckchen geläutet hätte. Die Hände hatte er tief in den Taschen vergraben. Sein
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