Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
an diesen Moorsee … und stürzten sich in sein kaltes Wasser.
»Die Dummköpfe sterben nicht aus«, murmelte Greschym. Nur er allein kannte das Geheimnis des Sees. Und er war fest entschlossen, seinen Wunsch erfüllt zu bekommen, und müssten auch alle anderen dabei zugrunde gehen.
Hinter sich hörte er Ruhack, der sich in einem Fingerbeerbusch versteckte, mit den Füßen scharren. Der Stumpfgnom wurde allmählich ungeduldig, genau wie sein Herr.
Leise Musik klang über das Wasser. Eine Flottille von Segelschiffen fuhr die wenigen Pilger, die über prall gefüllte Börsen verfügten, auf das ruhige Wasser hinaus. Hinter Greschym zog eine der größten Barken vorüber. Der Rumpf war mit fantasievollen Schnitzereien verziert, die Segel waren aus Seide, und im Takelwerk hingen Laternen, die den Mond in seinen verschiedenen Phasen darstellten.
Doch diese Nacht gehörte nicht den Begüterten allein. Überall am Ufer erhellten Fackeln und bunte Laternen den See auch für die anderen Gäste. Ein paar Kinder, die es nicht mehr erwarten konnten, plantschten bereits im seichten Wasser. Ihre freudig erregten Stimmen schallten wie Glockengeläut durch den Abend. Von hunderten von Kochfeuern zogen Düfte von gebratenem Fleisch und leckeren Schmorgerichten durch die kühle Sommernacht.
Greschym richtete sich auf. Das lange Warten war fast vorüber. Der Mond stand kurz vor dem Zenit. »Ruhack!«
Der Stumpfgnom kam bäuchlings aus dem Gebüsch gekrochen.
Sie gingen ein paar Schritte bis zu ihrem einsamen Strand. Greschym hatte mit einem einfachen Abwehrzauber dafür gesorgt, dass niemand der kleinen Landspitze, die ein Stück weit in den See hinausragte, zu nahe kam.
Nun löste er mit einem kleinen Dolch den Lehmpfropfen aus seinem Röhrenknochenstab, sprach lautlos einen Bann und griff auf die Magik im Blut des Neugeborenen zu. Die Lebenskraft des unschuldigen Kindes unterwarf sich bereitwillig seinem Befehl.
Um den See herum wurde es still. Nur in der Ferne weinte ein Kind. Ob es das Blut seines Bruders witterte?
Greschym streckte seinen Stab aus und richtete das Ende auf die weite Fläche. Das Spiegelbild des Mondes glänzte nach wie vor auf dem Wasser, doch die besondere Magik dieser Nacht entzündete sich erst, als der Mond selbst den höchsten Punkt seiner Bahn erreichte. In diesem Moment wurde sein Bild so hell, dass man es kaum noch ansehen konnte. Der Schein verbreitete sich über den gesamten See und färbte das schwarze Wasser silbern.
Die Menge stieß einen lauten Schrei aus. Nackte und Bekleidete, Junge und Alte, alles stürzte sich in die Fluten. Einige riefen lauthals den Himmel an, andere beteten stumm.
Greschym lächelte nur und sprach den letzten Teil seines Banns.
Dann senkte er die Spitze des Stabes und spritzte das verzauberte Blut um die Landspitze herum in das Wasser. Ein Fleck breitete sich aus. Die Menschen waren so sehr mit ihren Wünschen beschäftigt, dass niemand den Frevel bemerkte.
Der Blutfleck wurde immer größer und glitt auf die Mitte des Sees zu.
Das Wasser des Mondsees war, was hier freilich niemand wusste, durchdrungen von der reinen Elementarmagik des Lichts. Der ganze See war ein tiefer Brunnen, der sich nur in dieser einen Nacht füllte. Wenn der Mond genau so stand, dass das Wasser seine silbrige Magik aufnehmen konnte, strömten aus der Leere Unmengen an Energie in den See. Das Glücksgefühl, das alle Badenden empfanden, war nichts anderes als der körperliche Kontakt mit dieser Energie, die Vermischung ihrer Lebenskräfte mit der Energie der Leere.
Sobald der Tag anbrach, verflüchtigte sich die Wirkung. Der Glut der Sonne konnte die Mondenergie nicht standhalten. Doch da Greschym so mächtige Feinde hatte, wollte er diesen Energiequell nicht ungenutzt versiegen lassen.
Er berührte den Fleck im Wasser mit der Spitze seines Stabes und sprach den Bann, der die Kräfte des Sees in den Röhrenknochen zog. Der Stab füllte sich und vertausendfachte seine Macht. Zugleich wanderte der Fleck weiter über den See. Fast die ganze Nacht würde vergehen, bis er alle Magik abgeleitet hätte.
Ein grausames Lächeln umspielte Greschyms Lippen.
Links von ihm tummelte sich eine übermütig grölende Gruppe im See und bemerkte nicht, wie der dunkle Fleck auf sie zukam. Als sich das silberne Wasser schwarz färbte, schlug der Jubel um in schrilles Wehklagen.
Greschym beobachtete, wie den in Elementarmagik schwimmenden Geschöpfen aufs Qualvollste die Lebenskräfte aus dem Leib
Weitere Kostenlose Bücher