Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
froh, denn als sein Blutbann auf den Rand des rubinroten Flecks traf, gab es einen grellen Blitz. Eine gewaltige Energiewoge breitete sich rasend schnell nach allen Seiten aus. Greschym und Ruhack duckten sich in ihre schützende Blase. Bäume wurden aus dem Boden gerissen. Ein Segelboot, das sich wie wild um seine Längsachse drehte, flog über ihn hinweg, dahinter folgte eine Wassermauer, die zweimal so hoch war wie der höchste Baum.
Die Flut überspülte Greschyms Insel und floss wieder ab, ohne ihm etwas anhaben zu können. Er leitete immer mehr von seiner Magik in den Schild, während er das Schauspiel staunend verfolgte. So viel Macht! Er konnte nur beten, dass seine Magik stark genug war, um den Sturm zu überstehen.
Durch den Schutzzauber drang ein Geräusch, wie er es noch nie gehört hatte, ein Pfeifen und Rauschen, das nicht von dieser Welt war.
Er sah sich um, woher es kam, und schon fegte eine tiefe Finsternis über ihn hinweg. Binnen eines Herzschlags löste sich die Welt einfach auf.
Das Entsetzen ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.
Er war in der Leere.
Elena spürte die Explosion, bevor sich die Magik tatsächlich entlud. Sie riss sich los vom Buch des Blutes und seinen leeren Seiten und sah zum Mond empor. Die roten Rinnsale der Verderbnis hörten jäh auf zu fließen und erstarrten. Sie ahnte, dass das kein Segen war, sondern ein Unheil … ein schreckliches Unheil.
»Er’ril …«, warnte sie.
»Was ist?«
Sie wollte sprechen, aber sie fand keine Worte. So deutete sie nur stumm zum Himmel.
Der rubinrote Fleck auf dem silbernen Mond verdunkelte sich und geriet in Bewegung, als stiege eine Blase aus unermesslichen Tiefen empor.
»Lauft«, flüsterte sie.
»Wohin? Warum?« Er’ril packte ihren Arm.
Elena machte sich frei und schob ihm das Buch zu. Dann zog sie ihren Hexendolch und brachte sich auf jeder Handfläche einen tiefen Schnitt bei. Schmerzen spürte sie nicht, nur wachsende Panik.
Er’ril steckte das Buch des Blutes in seinen Mantel und wollte sie fortziehen. »Elena …«
Sie hob beide Hände, ohne ihn zu beachten. Aber es war bereits zu spät. Die dunkle Blase zerplatzte lautlos. Mit ihrem Zauberblick beobachtete Elena entsetzt, wie auf der Bahn, auf der zuvor die Energie des erblühenden Baumes himmelwärts gezogen war, eine lodernde Energiefackel auf sie zugerast kam.
»Lauft!« schrie sie noch einmal.
Doch bevor jemand einen Schritt tun konnte, ergoss sich die Druckwelle wie eine gewaltige Wassermasse über den Hof.
Elena entließ aus beiden Händen ihre Magik, aber die Energie von oben krachte mit der Wucht einer Sturmwelle darauf nieder und durchschlug sie mühelos. Die Welt verschwand. Elena selbst versank in unendlicher Finsternis.
Bevor sie noch einen Gedanken formen konnte, fiel ein winziger Funke in das Dunkel und zerbarst. Ein dichtes Geflecht mit zahllosen Verästelungen entfaltete sich und legte sich über sie, um sie und durch sie hindurch. Ihr Bewusstsein hangelte sich an den Fäden entlang nach außen. Sie erkannte die Verbindung. Sie war ihr schon öfter begegnet, immer dann, wenn sie besonders tief in das Wesen ihrer Magik eingedrungen war.
Es war das Geflecht des Lebens, jenes unendliche Gespinst, das alle Lebewesen auf der ganzen Welt miteinander verband. Stimmen dröhnten in ihrem Kopf. Verschwommene Bilder rasten vorbei. Fremde Wünsche, Empfindungen, Träume durchzuckten sie.
Sie kämpfte, um nicht auseinander zu fallen, sich nicht in diesem leuchtenden Netz zu verlieren.
Es gelang ihr nicht.
Elena stürzte, ein Irrlicht, mitgerissen von einem unerbittlichen Sog, auf die Mitte des Geflechts zu. Sie fand keinen Halt. Im Fallen spürte sie, wie ein höheres Wesen in ihr Bewusstsein eindrang, ein Wesen, das Teil des Lebens war und doch auch wieder nicht. Sie erkannte, dass sie nicht allein war. In den Tiefen des Lebensnetzes wartete etwas, und dieses Etwas wandte ihr nun langsam seine Aufmerksamkeit zu. Es war unermesslich, unveränderlich, unendlich. Es war die Spinne in diesem Netz, sein Ursprung.
Elena wollte fliehen. Diesen Blick konnte sie nicht überleben.
Da wurde sie gepackt und nach oben gerissen. Worte entstanden in ihrem Geist: Geh nicht dorthin!
Erleichterung durchströmte sie. Cho war zurückgekehrt.
Sie wurde mit der Wucht von tausend Sonnen fortgeschleudert.
Ein rasender Schmerz durchzuckte sie.
Geh niemals dorthin!
Tyrus hatte eben die Tür zum Hof erreicht, als er das Krachen hörte. Die Explosion erschütterte
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