Alasea 05 - Das Buch der Entscheidung
die ganze Burg und warf ihn auf die Knie. Die dicke Eisenholztür erbebte und bekam Risse.
»Süße Mutter!« keuchte er. Hatte jenseits der Tür ein Blitz eingeschlagen? Er war halb taub und schüttelte den Kopf. Als er nach der eisernen Türklinke griff, schrie er überrascht auf. Das Metall war so kalt, dass seine Hand daran festgefroren war. Als er sie losriss, blieb ein ordentliches Stück Haut an der Klinke kleben.
Xin war einen Schritt hinter ihm. »Da muss etwas passiert sein.«
»Darauf bin ich auch schon gekommen«, fauchte Tyrus und wickelte die verletzte Hand in den Mantel. Abermals riss er an der Klinke, doch die Tür bewegte sich nicht. Erst als er mit wütendem Knurren dagegen trat, sprang sie auf. Eine Eisschicht hatte sie blockiert.
Der Große Hof mit seiner Gartenanlage schien unverändert. Tyrus sah weder Spuren eines Blitzschlags, noch stand ein Gewitter am Himmel. Doch als er sich einmal um sich selbst drehte, streifte er mit dem Mantelsaum eine Rose, und die blassrosa Blüte zerbrach, als wäre sie aus Kristall.
Erschrocken starrte Tyrus die Scherben an.
Xin griff nach einem blühenden Hartriegelzweig, der unter seiner Berührung abbrach und klirrend auf dem Kiesweg zerschellte.
»Alles erfroren«, sagte Tyrus. Im Licht des Vollmonds erstrahlte der Garten in einem unnatürlichen Glanz. Sämtliche Oberflächen waren mit Eis überzogen alles schien tot.
Da bewegte sich etwas. Eine Gestalt kroch unter dem Baum in der Gartenmitte hervor der kleine Rodricko. Der Junge griff nach einer violetten Koa’kona Blüte, als wollte er sie streicheln. Die Blütenblätter waren weich geblieben, sie trugen keine Eisschicht. Hunderte von diesen Blüten waren geöffnet und verströmten einen warmen Schein. Der Baum war mit Ausnahme des Jungen das Einzige, was in diesem Hof noch lebte.
Hinter Tyrus fragte Xin: »Wo sind die anderen?«
Tyrus schüttelte den Kopf. Er wusste keine Antwort.
Der Garten war leer.
Kast reagierte als Erster, als der Donnerschlag die Burg erschütterte. Er nutzte die Verwirrung seiner Häscher, riss sich von ihnen los und machte einen Satz nach vorn. Bruder Ryn, der immer noch das schleimige Tentakelwesen in den Händen hielt, taumelte zurück. Kast packte mit einem lauten Schrei den Rand des Bibliothekstisches und hob ihn an. Wut und Schmerz verliehen ihm Riesenkräfte, er warf das schwere Eichenmöbel in hohem Bogen durch den Raum. Die Brüder stoben auseinander. Der Tisch landete im Kamin. Die Kohlen spritzten nach allen Seiten, und die beiden Schwarzsteinschalen sprangen laut klappernd über den Boden.
Er spürte, wie eine Hand nach seinem Ärmel greifen wollte, und fuhr herum. Es war Saag wan. »Kast …!« Es klang fast, als wäre sie wieder sie selbst.
»Saag wan?«
Sie sah verschreckt zu ihm auf.
Kast schlug ihr mit der Faust ins Gesicht und spürte, wie ihre Nase brach. Dann packte er sie am Handgelenk und schwang sie sich über die Schulter.
»Haltet ihn!« schrie Bruder Ryn.
Kast wich ihm aus. Nach Jahrzehnten auf schwankenden Decks wusste er das Gleichgewicht zu bewahren. Saag wan war so leicht, dass sie ihn nicht behinderte. Er rannte auf die Tür zu. Die Übermacht war zu groß, und die Gegner hatten obendrein Dämonenkräfte. Er musste erst Mitstreiter sammeln, um mit ihnen zurückzukehren und diesen Raum von der Verderbnis zu säubern.
Am Ausgang angelangt, hatte er eine Idee. Er stemmte sich mit der Schulter gegen das nächststehende Regal voller Folianten und Pergamentrollen. Die hohe Holzkonstruktion geriet ins Schwanken.
Die Verfolger hatten ihn fast erreicht.
Kast fauchte vor Wut. Saag wan stöhnte. Abermals rammte er das Regal mit der Schulter. Diesmal kippte es, krachte mit viel Lärm in das nächste Gestell und brachte es seinerseits zu Fall. So ging es Regal für Regal weiter. Staub wirbelte auf, Bücher und Schriftrollen flogen durch die Luft.
Kast sprang mit einem Satz aus der Tür, rannte nur ein paar Schritte weit und setzte Saag wan ab.
Dann schnappte er sich eine Fackel und eine Laterne von einem Tisch und lief damit zurück. Die Laterne schleuderte er auf den ersten Verfolger. Beim Aufprall barst das Glas, das Öl spritzte über die weiße Kutte. Kast stieß den Mann in die Bibliothek zurück und hielt ihm die Fackel an die Brust. »Tut mir Leid, Bruder.«
Der ölgetränkte Stoff fing sofort Feuer. Kast schleuderte den schreienden Bruder mit einem Fußtritt zwischen die staubigen Folianten und die wurmzerfressenen Regale. Das alte
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