Alaska
bereit machte, und die Seeleute lehnten sich weit vor, denn Atkins hatte ihnen erzählt: »Die Meisterin. Keine springt höher.« Jedoch Nikaluk und die Männer, die die Decke hielten, wussten, dass sie bei den ersten drei, vier Versuchen nicht sehr hoch fliegen würde, denn beide Seiten mussten erst noch ihre Kräfte messen und herausfinden, wann die Decke mit höchster Spannung strammgezogen werden musste, zeitlich genau abgestimmt mit dem Beugen der Knie.
Die ersten vier Würfe waren also nur ein Einstimmen, aber schon war die seltene Grazie dieser geschmeidigen jungen Frau erkennbar. Die Matrosen hörten auf, sich zu unterhalten, und sahen den eleganten Bewegungen zu, die sie beim Hochspringen mit Armen und Beinen, mit dem Körper und dem Kopf vollführte, und auf keinen Beobachter hatten ihre Reize einen stärkeren Effekt als auf Kapitän Pym, der sie anstarrte, wie sie in der Luft schwebte, als hätte er sie vorher noch nie gesehen.
Dann plötzlich, ohne Warnung, schoss sie himmelwärts, in eine Höhe, die Pym in Schrecken versetzte. Sechs Meter über seinem Kopf hing sie bewegungslos in der Luft, jeder Teil ihres Körpers genau ausgerichtet, wie bei einer Balletttänzerin, ein Geschöpf von außergewöhnlicher Schönheit und Anmut. Dann, langsam erst, aber mit zunehmender Geschwindigkeit, fiel sie wieder nach unten, eine Pose dabei einnehmend, die vermuten ließ, dass sie ungeschickt aufprallen würde, aber im allerletzten Augenblick hatte sie sich wieder unter Kontrolle und landete mit den Füßen zuerst in der Mitte der Decke, lächelte niemandem zu, sondern bereitete sich auf den nächsten Flug vor, der sie, das wusste sie, noch höher tragen würde.
Auf ein verabredetes Zeichen ihres Mannes beugte sie die Knie, nahm einen tiefen Atemzug und flog wie ein Vogel in die Luft, der sich zu neuen, ungekannten Höhen aufschwingen wollte, und als sie so emporschoss, da fiel Kapitän Pym etwas sehr Merkwürdiges an ihr auf: Diese dicken Fellschuhe, die sie da trägt, die schwere Kleidung, all das scheint sie, im Gegenteil, noch anmutiger zu machen und ihre Körperbeherrschung noch eindrucksvoller. Sie war eine prächtige junge Frau, und es gab in dem Augenblick nicht mehr als ein Dutzend Frauen auf der ganzen Welt, aus welchem Volksstamm auch immer, die ihr das nachmachen oder ihre Vorstellung gar hätten übertreffen können. Hoch oben in der Luft - die Sonne schickte sich bereits an, wieder Abschied zu nehmen - hatte sie den Höhepunkt ihrer Kunst erreicht, und dessen war sie sich bewusst.
Mit dem letzten Aufwärtsschub der Decke flog sie höher als jemals zuvor in ihrem Leben, und das nicht, weil ihr Mann besonders fest an der Decke zog, sondern weil sie in einer letzten, alles überbietenden Anstrengung ihren ganzen Körper auf einen Gleichlauf brachte, einzig und allein, Kapitän Pym zu gefallen, der, sie hatte ihn gesehen, mit offenem Mund dastand und sie bewundernd anstarrte. Es gelang ihr, einen wunderschönen Bogen vor der untergehenden Sonne zu schlagen, und als sie wie ein müder Vogel auf die Erde zurückkehrte, lächelte sie zum ersten Mal an diesem Morgen und schaute triumphierend ihrem Kapitän direkt ins Gesicht. Sie hatte sich zu Höhen aufgeschwungen, in die noch nie eine Frau ihres Dorfes vorgestoßen war, sie war eins gewesen mit der neugeborenen Sonne und dem Eisfeld, dessen Tage gezählt waren, jetzt, wo sich die Erde wieder der Wärme zuwandte. Als man sie von der Decke hob, überkam sie ein solches Gefühl der Siegesgewissheit, dass sie nicht zu ihrem Gatten, sondern auf Noah Pym zuging, ihn bei der Hand nahm und ihn mit sich fortführte.
Das Sonnenfest dauerte vierundzwanzig Stunden, und drei Ereignisse - einige blieben in angenehmer Erinnerung, andere sollten vergessen werden -, die sich im Verlauf dieser Feier zutrugen, wurden zu einem Teil der Tradition des Dorfes in Desolation Point. Nikaluk, die junge Frau Sopilaks, suchte sich eine Hütte und verbrachte dort die Nacht mit Noah Pym, dem Kapitän aus Boston. Der rauhe Matrose Harry Tompkin, aus einem Küstenort in der Nähe Bostons, verkroch sich in den Bauch der »Evening Star«, um ein Fass Jamaikarum anzuzapfen, das für medizinische und andere Notfälle an Bord verstaut worden war. Er und zwei seiner Kameraden betranken sich mit dieser dunklen, köstlichen Flüssigkeit, aber entscheidender für die Geschichte Alaskas war, dass sie in ihrer großzügigen Laune und allgemeinen Feststimmung den Alkohol mit Sopilak teilten, der
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