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Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
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einen kleinen, fein geschnitzten Lippenpflock, passend zu dem, den das Mädchen bereits trug. »Ich habe ihn aus dem Knochen des Wals geschnitzt, den du und ich zusammen gefangen haben.« Und bevor Cidaq in die hintere Öffnung des Kajaks einstieg, löste sie den goldfarbenen Lippenpflock aus Walro ss elfenbein, den sie immer getragen hatte, schenkte ihn der überraschten Frau und legte statt dessen den neuen weißen, aus ihrem Walknochen geschnitzten ein.
    An der Gangway ergriff »die Alte« noch einmal Cidaqs Hand, die anzüglichen Beleidigungen, die ihnen die Matrosen vom Dollbord hinunterriefen, überhörend. »Es ist nicht richtig, was wir hier tun, Mädchen«, sagte sie und zerdrückte Cidaq fast die Finger. »Und die Geister mögen finster dreinblicken. Aber es ist besser, als allein auf dieser Insel zu sterben. Vergiss in den Tagen, die jetzt vor dir liegen, nie: Was auch immer geschieht, es ist besser als das, was du zurücklässt .«
    Die »Zar Ivan« war kaum aus dem Schatten des Vulkans gesegelt, als die mahnenden Worte »der Alten« gleich auf die Probe gestellt wurden. Rudenko, dessen Besitz Cidaq jetzt war, zerrte sie nach unten, riss ihr die Otterpelze vom Leib und verrichtete sein brutales Werk, das sie benommen und entwürdigt zurückließ. Doch es kam noch schlimmer: Als er fertig war mit ihr, reichte er sie an seine grausamen Freunde weiter, die sie auf hässliche Weise missbrauchten , sie in dem übel stinkenden Frachtraum eingesperrt hielten und ihr nur unregelmäßig zu essen gaben, wenn sie sie zur Unzucht gezwungen hatten. Rudenko fühlte sich für ihr Wohlergehen nicht verantwortlich, und so wurde sie immer mehr wie eine Wilde behandelt. Während der zweiundfünfzig Tage dauernden Überfahrt nach Kodiak befürchtete sie mehrmals, noch vor Ende der Reise als lebloser Gegenstand ohne weiteren Nutzen über Bord geworfen zu werden.
    Es war für sie die dunkelste Erfahrung, die man als junges Mädchen nur machen kann, denn unter den sieben oder acht Männern, die sie missbrauchten , war nicht einer, der auch nur die geringste Zuneigung zu ihr entwickelte oder das Gefühl, dass er sie vor den anderen schützen müsste . Alle behandelten sie als etwas Nichtmenschliches, als etwas Wertloses. Auf Lapak dagegen war sie angesehen, eine Anführerin der gleichaltrigen Mädchen gewesen und eine Gefährtin für die Jungen, aber sie wusste auch, dass die schrecklichen Demütigungen, die sie hier erfuhr, der Preis war, den sie für ihr Entkommen vor noch Schlimmerem zu zahlen hatte. Der Worte ihrer Urgroßmutter eingedenk erwog sie nicht einmal, den ständigen Übergriffen durch einen Sprung über Bord ein Ende zu setzen, auch wenn die Widerwärtigkeiten geradezu unerträglich wurden. Wenn diese Überfahrt nach Kodiak ihre einzige Möglichkeit war, um zu überleben, dann musste sie durchhalten. Sie prägte sich allerdings das Aussehen der Männer ein, die sie so erniedrigten und sie traten, wenn sie mit ihr fertig waren, und sie schwor sich, wenn das Schiff jemals in Kodiak anlegen sollte, dann wollte sie es ihnen heimzahlen. Manchmal glitt in der Dunkelheit ein verschlagenes Grinsen über ihr Gesicht, und mit der Zungenspitze berührte sie den neuen Lippenpflock: Wenn ich einen Wal töten kann, dann werde ich auch mit Rudenko fertig. Und dann ersann sie so viele ihr Mut zusprechende Rachepläne, dass das Knarren des Schiffes und das abscheuliche Verhalten seiner Besatzung ihr nichts mehr anhaben konnten.
    Die Reise kam endlich zu einem Ende. Entgegen aller Erwartung schleppte sich die klapprige »Zar Ivan« bis nach Kodiak, und als die Vorräte unter dem Freudengeheul der dort stationierten Russen abgeladen waren, durfte auch Cidaq ihr kleines, armseliges Bündel schnüren und die Schaluppe besteigen, ihre Fähre in das turbulente Leben der Inselkolonie. Obwohl sie jetzt frei war, mochte sie das grauenvolle Schiff und seine ebenso grauenvolle Besatzung nicht ohne einen Abschiedsgruß verlassen, und als die Schaluppe ablegte, sah sie hoch zu den Männern, die sie missbraucht hatten und die jetzt lachend an der Reling standen, und rief ihnen auf Russisch zu: »Ihr sollt ertrinken! Der große Wal soll euch fressen und in die Tiefe des Ozeans reißen!« Und trotz ihrer Wut setzte sie ein bösartiges Lachen auf, das wie eine Warnung war: »Seht euch vor! Wir sehen uns noch einmal wieder.«
     
    Cidaqs erster Eindruck von der Insel Kodiak war, dass sie große Ähnlichkeit mit Lapak aufwies, gleichzeitig aber auch

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