Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
Vom Netzwerk:
litt großen Hunger, aber beobachtete genau das Geschehen um sich herum.
    Eines Morgens zum Beispiel sah sie heimlich zu, wie ein paar russische Beamte, unterstützt von einem jämmerlichen Haufen Soldaten, die neuen Pelzhändler zusammentrieben, die mit ihr auf der »Zar Ivan« angekommen waren, und sie mit aufgesteckten Bajonetten in mehrere kleine Boote drängten, die sich, begleitet von heftigen Tumulten und Fluchen, auf die »schrecklichste Seereise der Welt« begeben sollten, wie ihr ein Aleute zuflüsterte, 1 . 250 Kilometer entfernt, auf die Robbeninseln, die Pribilofinseln, wie sie später genannt wurden, auf denen Pelzrobben in unvorstellbaren Mengen lebten.
    »Werden sie zurückkommen?« fragte sie, und der Mann flüsterte: »Sie kehren nie zurück.« Mit einmal hielt sie den Atem an, denn am Ende der Kolonne, die in die Boote geleitet wurde, erspähte sie drei der Männer, die sie missbraucht hatten, und sie war drauf und dran, ihnen schon etwas Höhnisches zuzurufen, aber sie unterließ es lieber, denn in einem kurzen Abstand folgte hinter ihnen Yermak Rudenko, seine Hände in Fesseln, das Haar zerzaust, als hätte er sich mit jemandem geschlagen, die Augen feuersprühend. Anscheinend hatte man ihn gewarnt, was für ein Leben er auf den Robbeninseln zu erwarten hatte, eine Strafe, bei der es keine Begnadigung gab und der sich zu fügen er sich weigerte.
    »Bleib in Reih und Glied!« hörte Cidaq einen der Soldaten ihn auf Russisch anknurren, als er ihn mit dem Kolben stieß, und es durchfuhr sie wie ein Blitz der Gedanke: Sie können von Glück sagen, dass er in Ketten ist! Es machte ihr Spaß, sich auszumalen, was Rudenko diesen schmalen, unterernährten Männern antun würde, wenn seine Hände frei wären. Aber dann erinnerte sie sich daran, was für ein Tier er gewesen war, und sie war zufrieden, dass er wenigstens mit einem Teil der Leiden bestraft würde, die er ihr zugefügt hatte.
    Ein Pfiff ertönte. Rudenko und die anderen Nachzügler wurden ins Boot gestoßen, dann machte sich die kleine Flotte von insgesamt elf Booten auf die Reise, die schon für ein einziges großes, stabil gebautes Schiff ein Wagnis gewesen wäre. Cidaq sah den Booten nach, wie sie langsam verschwanden, teils hoffte sie, dass sie alle kenterten, teils wünschte sie, dass sie es schafften, denn an Bord befanden sich auch Aleuten, die ebenfalls als Lebenslängliche auf die Robbeninseln verbannt worden waren.
    Was ihre eigene Situation betraf, war sie sich sicher; jeder neue Tag war für sie ein Grund mehr, dankbar zu sein, der schrecklichen Einsamkeit von Lapak entronnen zu sein. In Kodiak dagegen pulsierte das Leben; die Luft war voller Energie, und es herrschte eine Aufbruchstimmung, in der sich eine neue Welt errichten ließ. Sie liebte Kodiak, und obwohl sie hier viel unsicherer lebte als jemals auf Lapak, war es wie eine ständige Mahnung, dass sie überhaupt lebte.
    Sie war mittlerweile fünfzehn Jahre alt, und da sie mit einem wachen Interesse alles verfolgte, was um sie herum geschah, sah sie auch, dass sich die Situation der Russen auf der Insel mehr und mehr verschlechterte; mit den Koniags würde es über kurz oder lang zu einem offenen Kampf kommen, und auch die Eingeborenen anderer Inseln weiter östlich drohten zu rebellieren. Zahllose Männer aus Moskau und Kiew, die sich den primitiven Inselbewohnern in jeder Hinsicht überlegen geglaubt hatten, kamen jetzt durch die Hand derer um, die die Kunst des nächtlichen Hinterhalts und des Überraschungsangriffs am Tage wohl beherrschten.
    Was Cidaq besonders traurig stimmte, war der deutlich sichtbare Verfall der Aleuten; Fehlernährung, Krankheit und Ausbeutung waren an der Tagesordnung. Die Zahl der Toten war empörend, aber die Russen schien das nicht zu kümmern. Überall entdeckte sie Zeichen, dass ihr Volk unerbittlich seiner Ausrottung entgegenging.
    Für kurze Zeit lebte sie bei einem Aleuten und einer Eingeborenen - sie waren nicht verheiratet, denn es gab keine aleutische Gemeinschaft, die einer Heirat ihren Segen geben konnte -, die versuchten, ein einigermaßen menschenwürdiges Leben zu führen. Er unterwarf sich den Regeln der Handelsgesellschaft, fuhr jeden Tag hinaus auf der Suche nach Ottern, und er war ein besonders geschickter Jäger, führte sich ordentlich, lebte von der bescheidenen Nahrung, die die Gesellschaft lieferte, und beklagte sich nie.
    Dann jedoch schlug das Unglück willkürlich und mit größter Grausamkeit zu. Der Mann musste die

Weitere Kostenlose Bücher