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Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
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Häuptling Kot-le-an, ein großer, drahtiger Bursche von etwa dreißig Jahren, gekleidet in Hemd und Hose aus besonders edlem Pelz und gehüllt in einen verzierten weißen Umhang aus Hirschleder. Am Hals trug er eine Muschelkette, auf dem Kopf den charakteristischen Hut der Tlingits, eine Art umgedrehter Trichter, aus dessen Spitze sechs Schmuckfedern ragten. Wie bei Rabenherz steckte auch in seiner Nasenwand ein schmaler Kupferring, was jedoch seine rötlichbraunen Gesichtszüge besonders betonte, war der schwarze Schnurrbart und der zurechtgestutzte Spitzbart. In Größe, Schlankheit und Auftreten hob er sich deutlich sichtbar von den anderen Indianern ab, aus seiner Stimme, seiner Zielstrebigkeit und dem Willen zu handeln sprachen eine starke moralische Kraft, die ihn zum anerkannten Anführer der Krieger und ersten Berater des Toion gemacht hatten.
    Die sechs Amerikaner waren Kot-le-an bei früheren Aufenthalten in Sitka noch nie begegnet. Er hatte Strafexpeditionen gegen aufrührerische Nachbarn geleitet, und selbst wenn er in der Gegend gewesen wäre, hätten sie ihn wahrscheinlich nicht zu Gesicht bekommen, denn Handel betrachtete er als unter seiner Würde. Er war Krieger; und in dieser Eigenschaft trat er nun hervor, um die Hinrichtung von Rabenherz abzuwenden. In fremdartigen Worten, die die Amerikaner nicht verstanden, da niemand für sie übersetzte - ein Dienst, den Rabenherz sonst immer verrichtet hatte — verkündete der junge Häuptling eine Entscheidung, die sich schon bald als prophetisch erweisen sollte: »Eines Tages werden wir unser Land schützen müssen, entweder vor Amerikanern wie diesen hier oder vor Russen wie Baranov, die auf Kodiak bereits ihre Kräfte sammeln. Als euer Heerführer brauche ich solche Männer wie Rabenherz, ich kann nicht zulassen, dass ihr ihn von uns nehmt.«
    »Aber auch der große Toion braucht ihn«, riefen einige der älteren Männer. »Es wäre nicht schicklich, ihn...«
    Kot-le-an, dem langes Reden und Debattieren verhasst war, antwortete nur mit einem Nicken, beachtete die Alten nicht weiter, ergriff Rabenherz bei der Hand und entriss ihn sowohl den Amerikanern als auch den eigenen Leuten, die für den Ablauf der Bestattung verantwortlich waren. »Ich muss ihn haben, bevor die Schlacht beginnt«, und mit dieser jähen Geste rettete er dem Tlingit das Leben.
    Danach mussten die Amerikaner mit Schrecken zusehen, wie zwei männliche Sklaven, junge Männer noch, unter zwanzig, den Hügel hinunter an den Strand gezerrt und ihre Köpfe unter Wasser gehalten wurden, bis sie erstickt waren. Unversehrt wurden ihre Leichen den Hügel wieder heraufgetragen und feierlich neben dem großen Toion aufgebahrt. Dann ergriffen vier der stärksten Tlingits den Sklaven, der anstelle von Rabenherz ausgewählt worden war, hielten ihn an den Gliedern auf dem heiligen Holzblock ausgestreckt, legten ein schmaleres Stück Treibholz auf seinen Hals und drückten es dann fest herunter, bis auch das letzte Zittern aus seinem Körper verschwunden war. Mit trauriger Miene, als hätten sie einen treuen Freund verloren, legten sie seine Leiche quer über die Beine des Toion und gaben den wachestehenden Indianern das Zeichen, dass mit der Bestattung fortgefahren werden konnte.
    Nachdem die Zeremonie beendet war, ging man zu dem Tauschhandel über, und durch die Vermittlung von Rabenherz wurden die von den Tlingits gesammelten Seehundfelle gegen zehn der insgesamt achtzehn Fässer Rum getauscht. Die in China, Russland und Kalifornien so begehrten Seeotterpelze wurden diesmal nicht angeboten, und es sah so aus, als müsste die »Evening Star« wieder ablegen, ohne die Gewehre in das Geschäft eingebracht zu haben. In dem Augenblick jedoch, als Kapitän Corey den Befehl geben wollte, die Anker zu lichten, legten Rabenherz und Kot-le-an neben der Brigg an, und als die beiden an Bord waren, zeigte Rabenherz dem jungen Häuptling, dem er sein Leben verdankte, die Kisten, in denen die Gewehre verpackt waren, und sagte in ihrer Sprache: »Hier sind die Gewehre, die du brauchst.«
    Kot-le-an, der sofort die einzige Kiste entdeckte, deren Verschluss schon einmal für Rabenherz geöffnet worden war, um ihm die Gewehre vorzuführen, riss die losen Bretter fort und sah auf die wunderschönen dunkelblauen Läufe und die polierten braunen Kolben. Auch ohne ihren praktischen Zweck waren es herrliche Gegenstände, aber als Waffen, die den Tlingits zum Schutz gegen mögliche Eindringlinge dienen sollten, wurden

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