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Alaska

Titel: Alaska Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Albert Michener
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zeigte auf den jungen Borodin, der allein wie in Trance auf seinem Platz saß und auf den Vorhang starrte, der die Bühne verhängte.
    Afanasi schwieg eine ganze Weile, beugte sich dann hinüber zu Kendra, damit Borodin nicht hörte, was gesprochen wurde, und sagte: »Wir leben in einer Doppelwelt. Der presbyterianische Priester mahnt an die christlichen Werte, die wir seit hundert Jahren respektieren, aber die Alten mahnen an Werte, die unser Volk seit über zehntausend Jahren hochachten.« Mehr wollte er wohl nicht sagen, aber als Kendra nichts erwiderte, griff er ihre Hand und versicherte ihr: »Schamane? In dem hässlichen alten Wortsinn? Nein. Magie? Zauberheilungen? Verwünschungen? Nichts dergleichen. Aber Bewahrer der alten überlieferten Sitten, die wir schon immer befolgt haben? Ja.«
    Damit war das Thema vorerst beendet, allerdings fiel Kendra auf, dass Jonathan während der letzten beiden Akte wie gelähmt war von dem majestätischen Geschehen auf der Bühne, der Herrschaft der Götter, der Magie der szenischen Effekte, dem kraftvollen Gesang, der Handlung und der Beschwörungen. Wie alle Eskimos, Afanasi eingeschlossen, sah er in der Oper eine Darstellung nordischen Lebens, die auf unheimliche Weise fremd und doch gleichzeitig vertraut war. Die Reiseleiterin hatte sich entschuldigt, als sie den Gästen mitteilte, um was für eine Oper es sich handelte, aber sie konnte nicht ahnen, dass es die beste war, die man einer Gruppe aus einer fernen Welt im hohen Norden nur zeigen konnte.
    Beim Verlassen des Theaters, das eindrucksvollste Gebäude, das die Eskimos je gesehen hatten, ging Kendra neben Borodin her und fragte ihn, wie ihm die Oper gefallen habe, und er erwiderte: »Es hätten auch Eskimos sein können. Unsere Geschichte ist ganz ähnlich«, und als die kleine Amy Ekseavik die beiden einholte, sagte sie: »Sie haben doch auch in einem kalten Land gelebt, oder?« Und der Zauber der Vorstellung hielt noch lange an, während des späten Abendessens und des anschließenden langen Gesprächs.
     
    Auf dem Rückflug erhielt Kendra, verspätet, eine gründliche Lektion über die zwei in jeder Eskimogesellschaft verbotenen Gesprächsthemen, und die entsprechende Warnung kam ausgerechnet von dem am weltlichsten Gesinnten der Gemeinde von Desolation, Vladimir Afanasi. Einen Teil des Flugs saß sie neben ihm, und sie nahm die Gelegenheit wahr und gratulierte ihm zu der erfolgreich verlaufenen Reise. »Sie haben es mal wieder geschafft. Als ich Ihre Idee zum ersten Mal hörte, praktisch mit der gesamten Schule nach Deutschland zu fliegen, dachte ich bei mir: Was für ein Größenwahnsinn! Aber die beiden Tage in Berlin haben mich eines anderen belehrt.« Und er entgegnete, dass es ohne die Hilfe zweier so tüchtiger Lehrer wie Kasm und Kendra nicht möglich gewesen wäre. »Die Leute unterschätzen Mr. Hooker. Er zählt zu den glücklichen Menschen in der Welt, die sich genau da wiederfinden, wo sie sein möchten, an dem Platz, wo sie hingehören. In der High-School, wo man bestimmte Fächer unterrichten muss , würde er uns nicht viel nutzen, denn irgendwann wird jemand kommen und die Schüler prüfen. Wissen Sie eigentlich, was er unterrichtet?«
    »Das habe ich mich schon oft gefragt. Wenn ich seine Schüler übernehme, gehören sie nicht gerade zu den Schnellsten, aber das wissen Sie sicher auch.«
    »Er erzählt den Kindern über die Schönheiten des Eskimolebens, die Walrossjagd , die großen Wale. Aber auch im einfachen Rechnen ist er ganz gut.«
    »Ja, das ist mir aufgefallen.«
    »Für solche Dinge wie Poesie und Geschichte und Märchen für Kinder hat er nur Verachtung übrig. Er hält das alles für Quatsch. Statt dessen ermuntert er seine Schüler, sich lieber mit dem traditionellen Kunsthandwerk der Eskimos zu betätigen, Schnitzen, Korbflechten und Felle zu verarbeiten.« Er hing eine Weile seinen Gedanken nach, während er und Kendra den großen Schuldirektor von der Seite aus musterten, dann sagte Afanasi: »Der Lehrplan an unseren Molly-Hootch-Schulen richtet sich eher danach, was den Lehrer interessiert, und man kann nur zu Gott beten, dass er oder sie sich überhaupt für irgendetwas interessiert. Für was, ist gar nicht einmal so wichtig.«
    Das ermutigte Kendra, und sie fragte ihn: »Wissen Sie eigentlich, Mr. Afanasi, dass wir mit der kleinen Amy Ekseavik ein Genie unter uns haben?«
    »Das haben Sie mir neulich schon einmal gesagt.«
    »Aber gestern Abend in Frankfurt erzählte sie mir,

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