Alaska
zum Beispiel - hat er das Geld von der Genossenschaft gestohlen?«
Jeb verschlug es die Sprache, dann packte er Kendra bei den Schultern: »Was für eine gemeine Frage! Afanasi ist der ehrlichste Mensch, den ich kenne. Er würde sich eher die Hand abhacken, als auch nur einen Penny zu stehlen.« Er schüttelte sie und brummte: »Und du kannst vor aller Welt bezeugen, dass ich das gesagt habe.«
Sie ließ sich durch diese temperamentvolle Verteidigung für seinen Freund aber nicht beirren: »Woher hat er dann das ganze Geld?«, worauf er mit der geballten Faust wütend auf einen Stuhl schlug: »Verdammt noch mal, ihr Neulinge wollt es anscheinend immer noch nicht glauben. Das Geld aus Prudhoe Bay fließt in Strömen. Afanasis Schulbehörde hat Geld. Ich habe Geld. Mein Partner Poley Markham hat Geld - und alles ganz legal, alles durch Quittungen zu belegen. Und jetzt akzeptier die Tatsache endlich ein für alle Mal : Geld spielt bei uns keine Rolle.«
Der Beobachter, der am lebhaftesten Anteil an der manchmal stürmisch verlaufenden jungen Liebe nahm, war Amy Ekseavik, denn ihre Zuneigung zu Jeb Keeler hatte sich während der Reise noch verstärkt, und für Miss Scott hegte sie schon lange ein fast besitzergreifendes Interesse, denn sie, Amy, war die erste gewesen, die herausgefunden hatte, dass ihre Lehrerin in den netten jungen Rechtsanwalt verliebt war. Oft baten Jeb und Kendra das junge Mädchen, sie bei kleineren Unternehmungen zu begleiten, und immer wieder konnten sie fasziniert beobachten, wie schnell Amy Neues lernte und beherrschte. »Amy«, rief Kendra eines Tages, als sie gerade die Münchner Pinakothek besuchten, »du sprichst ja Deutsch, als hättest du’s gelernt«, worauf sie erwiderte: »Das habe ich auch«, und sie zeigte ihnen den kleinen Sprachführer, den sie praktisch auswendig gelernt hatte. Am Abend, nach einem sehr gefühlsbetonten Intermezzo, das die beiden Verliebten noch näher brachte und sie offen und ehrlich gegenseitig ihre Pläne für die Zukunft bekennen ließ, sagte Kendra: »Wenn ich jemals heiraten sollte, dann möchte ich Amy adoptieren«, und Jeb fügte hinzu: »Wir schicken sie nach Dartmouth.«
Die Rundreise bot den Teilnehmern neben vielen anderen noch zwei besonders angenehme Überraschungen: Der amerikanische Botschafter in Bonn lud die Eskimos zu einem kleinen Imbiss in die Hauptstadt und einer anschließenden Kutschfahrt in die herrliche ländliche Umgebung der Stadt ein. Unterwegs machte man halt in einem Landgasthaus, in dem ein paar Musikanten alte deutsche Volkslieder spielten und den Eskimos Tänze beibrachten.
Während sich die silberhellen Tage des Winters in Deutschland langsam dem Ende näherten und die Gäste wieder öfters an die öde Finsternis zu Hause denken mussten , machte Kendra eine Beobachtung, die neu für sie war: Jonathan Borodin entpuppte sich überraschenderweise als ein begabter junger Mann.
Bislang hatte sie in ihm nur den ruppigen Burschen gesehen, der ohne Arbeit war, nur mit seinem lärmenden Schneemobil durch die Gegend fuhr und damit den Unterricht ausgerechnet immer dann zu stören schien, wenn sie versuchte, ihren Schülern etwas Schwieriges zu erklären. Während der ersten sechs Monate im Dorf konnte sie Jonathan nicht ausstehen, doch jetzt, auf der Reise, als sie sah, wie er sich um die jüngeren Kinder kümmerte, wie ein Onkel zu ihnen war, spürte sie, dass auch er Qualitäten hatte. Sie wunderte sich, warum er seine Ausbildung nicht wiederaufnahm, so dass sie sich schließlich auf der Fahrt nach Ost-Berlin im Bus neben ihn setzte und ihn fragte: »Jonathan, warum hast du das College abgebrochen?« Und er antwortete mürrisch: »Ich habe mich nach dem Leben in unserem Dorf zurückgesehnt.« - »Du meinst - mit deinen Leuten rumzuhängen und zu trinken?«, worauf er erwiderte: »So leben wir nun mal.«
Sie biss sich auf die Lippen, denn es war ihr klar, wenn sie sich über seine erschreckend beschränkten Erwartungen lustig machte, würde sie ihn nie für sich gewinnen: »Ich habe dich beobachtet, Jonathan. Du hast ungewöhnliche Talente.«
»Was meinen Sie denn damit?« fragte er halb provozierend, halb mit dem ehrlichen Wunsch, mehr zu erfahren.
»Du bist beispielsweise ein ausgezeichneter Organisator. Mach deine Ausbildung zu Ende, und du könntest überall Arbeit finden, in Anchorage, in Seattle, vielleicht sogar in Washington als Assistent für einen Kongressabgeordneten .« Als er sie erstaunt anblickte, sagte sie: »Ich
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