Alaska
brachte, um sich dort Reisepässe ausstellen zu lassen.
Mr. Hooker und Miss Scott ließen alle anderen Fächer ausfallen und unterrichteten nur noch deutsche Geschichte, Erdkunde und Musik. Eine Mutter hatte zu Hause noch die Ausgabe des »National Geographie«, die über Deutschland handelte, eine andere steuerte eine Aufnahme mit Beethovens Fünfter bei und ein paar Textstellen aus »Faust«. Die Kinder mussten Landkarten von Deutschland malen, und Amy überraschte alle, als sie eine sehr genaue Karte von Alaska zeichnete, in dessen Mitte, um die verschwindende Größe im Vergleich zum North Slope oder Yukontal zu demonstrieren, die Umrisse von Deutschland zu erkennen waren, Ost und West, im selben Maßstab. Ihren Mitschülern wollte sie nicht erzählen, warum sie das gemacht hatte, aber nach dem Unterricht flüsterte sie Kendra zu: »Ich freue mich schon auf die Reise, aber so ein kleines Land - was ist das schon?«
»Da irrst du dich, Amy. Seit zweitausend Jahren hat dieser Teil Europas« - wobei sie mit der rechten Hand über Amys Deutschlandkarte wischte - »die Vorherrschaft in diesem Teil der Welt. Es ist nicht immer die Größe eines Landes, die zählt.« Dann, einem plötzlichen Impuls folgend, ergriff sie das Mädchen an beiden Händen: »Du bist noch sehr jung, Amy. Aus dir könnte noch viel werden. Mr. Keeler hat sogar gesagt, du könntest alles werden, was du willst. Alles, was du willst!«
»Sie sind verliebt in Mr. Keeler, stimmt’s?«
»Ich bin verliebt in Alaska und in alles, was es für mich bedeutet. Ich bin begeistert von den vielen wunderbaren Talenten, die tief in dir schlummern. Wenn du jetzt nach Deutschland fährst, Amy, dann sieh dich gut um, und wäge ab und hör zu und lerne etwas draus.« Sie ließ Amys Hände los und trat einen Schritt zurück. Im Türrahmen sah sich das Mädchen um, musterte ihre Lehrerin, bedachte sorgfältig ihre Worte und verließ dann das Klassenzimmer.
Die Reise nach Deutschland wurde ein voller Erfolg. Es gab keine Verspätungen bei den verschiedenen Flugverbindungen; die Publicity-Abteilung der Lufthansa bombardierte die Zeitungen mit Artikeln über die Rundreise und Fotos der Schulkinder; Museen, Zooverwaltungen, Schlösser und Burgen, aber auch Industriebetriebe arrangierten Besichtigungen speziell für die Gäste aus Alaska; und in einem Wirtschaftsblatt erschien eine ausführliche Analyse der finanziellen Struktur der North-Slope-Genossenschaft und über den Erdölboom. Der Verfasser hatte errechnet, dass dieses löbliche Schulabenteuer, das offensichtlich so gut ankam, die Schulbehörde von Desolation Point die stolze Summe von 12 7 . 000 Dollar kostete, finanziert durch die Gewinne aus den Öllizenzen. Afanasi allerdings veröffentlichte eine Richtigstellung: »Die Schulbehörde hat nur die Kosten für zwanzig Personen übernommen, allerdings wurde die Ausgabe von allen Bürgern der Stadt bereitwillig gewährt. Die restlichen sechs Personen sind für die Fahrtkosten selbst aufgekommen, sie wollten sich die Erfahrung einer solchen Reise nicht entgehen lassen.«
Die Zahl der Mitreisenden stimmte. Der Reisegruppe gehörten offiziell zwanzig Mitglieder an, dazu die fünf, die sich an jenem Abend in der Sporthalle gemeldet hatten, und ein unerwarteter Reisegast, der sich der Gruppe anschloss , als sie in Anchorage eintraf: Jeb Keeler, Anwalt sowohl der Genossenschaft von Desolation als auch der Schulbehörde, meinte, er müsste ebenfalls mitkommen als Rechtsberater Afanasis, aber er gestand sich ein, dass auch die Aussicht, gemeinsam mit Kendra einen Urlaub in Europa zu verbringen, seine Pläne beeinflusst hatte. Dieser Beweis seines ernstgemeinten Interesses schmeichelte ihr, und kein anderes Pärchen der Reisegruppe hatte während der Fahrt durch Deutschland mehr Spaß als die beiden. Ihre Zuneigung zueinander wurde so deutlich, dass eine der Aufsichtspersonen zu den anderen beiden sagte: »Ich glaube, wir müssen eher auf die aufpassen als auf die Kinder«, aber alle akzeptierten die Beziehung, und die älteren Schüler spekulierten sogar, ob Mr. Keeler in den verschiedenen Hotels, in denen sie abstiegen, abends wohl zu Miss Scott ins Zimmer schlüpfte oder nicht.
Die Themen, über die sich Kendra mit Jeb unterhielt, hätten ihre Schüler wohl erstaunt, besonders eins. »Jeb, ich weiß, es berührt vielleicht das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Klient, aber ich muss es trotzdem wissen. Afanasi wirft mit Geld nur so um sich, diese Reise
Weitere Kostenlose Bücher