Alaska
vermochten aus diesem schönen Anblick nicht viel Trost zu schöpfen, denn Skorbut der übelsten Art hatte sie befallen. Es gab keine frische Nahrung, und das Wasser, das zusammen mit dem wenigen geretteten Zwieback gereicht wurde, war ungenießbar. Als Folge schwollen die Beine an, die Augen wurden glasig, die Männer erlitten schwere Hungerkrämpfe und konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten. Mit jedem Tag verschlechterte sich ihr Zustand, und die Eintragungen ins Logbuch lasen sich wie ein monotoner Trauergesang:
»Fürchterlicher Sturm und haushohe Wellen ... den ganzen Tag über schlagen die Wellen beidseitig über Deck ... schrecklicher Sturm ... 21 Männer auf der Krankenliste ... nach Gottes Wille verstarb heute Alexej Kiselev an Skorbut ... 29 Männer auf der Krankenliste ...«
An einem der letzten Tage, als die Männer noch zu Manövern fähig waren, drehte die »St. Peter« vor der Küste der Insel Lapak bei, der Ort, an den zwölftausend Jahre zuvor der Große Schamane Azazruk sein Volk geführt hatte. Die Bewohner der Insel füllten ihren Wasservorrat auf und gaben ihnen Robbenfleisch mit, wovon sie sich den ganzen September über ernährten.
Da die meisten der jüngeren Offiziere mittlerweile durch Skorbut ans Bett gefesselt waren, übernahm Trofim Zhdanko das Kommando über das Beiboot, mit dem man auf die Insel übersetzte, und als Begleitung bat er sich Georg Steller aus. Mit dieser Wahl bewies er eine glückliche Hand, denn kaum war der Deutsche an Land, stöberte er in der Gegend herum und riss hier und da Grasbüschel aus dem Boden. »Wir haben keine Zeit für solchen Unsinn!« protestierte Zhdanko, aber Steller fuchtelte mit einem Grasbüschel vor seiner Nase herum und rief übermütig: »Trofim! Das ist ein Mittel gegen Skorbut! Es kann unsere kranken Männer retten!« Schon verschwand er wieder und teilte drei Kinder ein, ihm bei der Suche nach diesem säuerlich schmeckenden Gras zu helfen, von dem er wusste, dass es diese schreckliche Krankheit heilen würde. Hätte man ihm mehr Zeit gegeben, hätte er möglicherweise auch die Männer der Besatzung retten können, auf die der Tod schon seinen Blick gerichtet hatte.
Derjenige, auf den dieser kurze Abstecher jedoch den nachhaltigsten Eindruck machte, war Trofim Zhdanko. Es war schon spät am Tag, als er auf eine tief im Boden gegrabene Erdhütte stieß; sie war im alten Stil gebaut, aber mit sorgfältig platzierten Steinen umgeben und mit einem stabilen Dach aus Walknochen und robusten angeschwemmten Holzbalken bedeckt. Er wollte mehr über den Menschen erfahren, der ein so guter Baumeister war, und als sein Bewohner, ein verschreckter junger Mann, zögernd vortrat, schwarze Haare hingen ihm vor den Augen, durch das Nasenbein war ein großer Walrossknochen gesteckt, reichte Zhdanko ihm ein paar von den Gegenständen, die Kapitän Bering ihm mitgegeben hatte, um die Eingeborenen friedlich zu stimmen: »Hier, das chinesischer Tabak, das Taschenspiegel. Sieh dich an. Bist du nicht schön mit dem Knochen im Gesicht? Das hier feines Tuch, für deine Frau. Bin sicher, du hast eine, mit dem hübschen Gesicht. Und die Axt, diese Pfeife und der Tabak.«
Der Aleute begriff, dass man ihm damit Geschenke reichte, schon der wundersame Spiegel war Beweis genug. Die Sitte seines Volkes verlangte es, dass er diesem fremden Riesen, zwei Kopf größer als er, ein Gegengeschenk machen musste. Als er sich jedoch die reichlichen Gaben, die Zhdanko ihm dargeboten hatte, noch einmal ansah, besonders die Axt aus Metall, überlegte er sich, was er selbst ihm anbieten könnte, ohne knauserig zu erscheinen. Und dann fiel ihm etwas ein.
Er machte Zhdanko ein Zeichen, ihm zu folgen, und führte ihn vor den Eingang zu einer unterirdischen Vorratskammer, aus der der Aleute zwei Stoßzähne hervorholte, zwei Seehundfelle und, aus einer dunklen hinteren Ecke, den Pelz eines Seeotters, länger und schöner als jene, die Trofim einst dem Zaren geschenkt hatte. Dieser war über zwei Meter lang und weicher und geschmeidiger als eine Handvoll Blüten. Es war ein herrliches Stück, und Zhdanko bedeutete dem Aleuten, dass er das zu schätzen wusste.
»Habt ihr da draußen noch mehr?« fragte er, aufs Meer weisend. Der Mann zeigte, dass er verstanden hatte, und wedelte mit den Armen in der Luft herum, was eine große Menge andeuten sollte. Dann gab er noch zu verstehen, dass sein Kajak, der jetzt am Ufer lag, am besten von allen Booten auf der Insel für die Jagd auf diese
Weitere Kostenlose Bücher