Alaska
Wissenschaftler dagegen betrachtet alle Geschöpfe, den Menschen eingeschlossen, als Tiere.«
Zhdanko richtete sich in voller Höhe auf und donnerte: »Ich bin kein Fisch. Ich bin ein Mann.«
Steller reagierte wie der Lehrer einer Anfängerklasse, der es mit einem besonders gescheiten, aber schwierigen Kind zu tun hatte, lehnte sich vor und fragte in sanftem Tonfall: »Und wie bitte, Schüler Trofim, würden Sie ein Huhn nennen? Es sieht aus wie ein Vogel, aber bewegt sich auf dem Boden.«
»Wenn es Flügel hat, ist es ein Vogel.«
»Aber es hat auch Blut. Und es pflanzt sich geschlechtlich fort. Für den Wissenschaftler ist es also ein Tier.«
»Was für neue Tiere haben Sie sich denn vorgenommen zu entdecken?«
»Eine dumme Frage, Trofim. Woher soll ich wissen, was ich finde, bis ich es finde?« Er lachte kurz auf und fügte dann hinzu: »Aber von einem erstaunlichen Tier habe ich schon gehört, dem Seeotter.«
»Ich hatte einmal zwei Otterpelze.«
Steller war begierig, alles über dieses legendäre Tier in Erfahrung zu bringen, Trofim erzählte ihm also von seinen beiden Otterpelzen und wie er sie dem verstorbenen Zaren überreicht und wie herrlich der Pelz an Peters Roben ausgesehen hatte. Steller lehnte sich zurück, sah sich den Kosaken von oben bis unten an und sagte dann bewundernd: »Trofim, Sie sollten Wissenschaftler werden. Es ist Ihnen einfach alles aufgefallen. Das ist wirklich erstaunlich, tatsächlich.« Dann kehrte er wieder den Lehrer hervor: »Also, wie würden Sie einen Seeotter nennen? Er schwimmt wie ein Fisch, das wissen Sie ja. Aber er ist eindeutig kein Fisch, das wissen Sie ebenfalls.«
»Wenn er schwimmen kann, ist er ein Fisch.«
»Aber wenn ich Sie jetzt über Bord werfen würde, würden Sie doch auch schwimmen. Wären Sie dann ein Fisch?«
»Ich kann nicht schwimmen, ich bin also immer noch ein Mensch.«
Die beiden Schiffe blieben fest verankert im Hafen von Petropavlovsk liegen, ihr Auslaufen verzögert durch eine Reihe unglücklicher Zufälle. Eigentlich hätten sie noch vor Mitte April ablegen müssen, um den ganzen Sommer auszunutzen; dann setzten sie die Abfahrt auf den 1. Mai fest, aber Ende des Monats waren die Handwerker noch immer damit beschäftigt, Reparaturen und Veränderungen auszuführen. Dann kam die Nachricht, dass der gesamte Vorrat an Schiffszwieback, von dem sich Seeleute ernährten, verdorben war, so dass man die Reise eigentlich noch einmal um ein Jahr hätte verschieben müssen.
Doch auch nachdem sie endlich am 4. Juni 1741 Segel gesetzt hatten, riss die Pechsträhne nicht ab, bei einer steifen Brise wurden die beiden Schiffe getrennt, und obwohl sich ihre Kapitäne während der anschließenden zwei Tage dauernden verzweifelten Suche nach dem jeweiligen Partnerschiff angemessen verhielten, kamen die beiden Schiffe nie wieder zusammen. Die »St. Paul«, unter Chirikovs Kommando, war nicht, wie von Bering vermutet, gesunken, sondern weitergesegelt und konnte von Berings Schiff, der »St. Peter«, nicht mehr eingeholt werden. Nachdem er vergeblich gegen Wind und Wellen gesegelt war, nahm Bering wieder den Kurs nach Osten auf, und in dieser Zweierformation näherten sich die russischen Schiffe der Küste Nordamerikas.
Am 6. Juni dann wendete sich sein Schicksal zum Guten. Eine halbe Stunde nach Mittag hörte der Nieselregen auf, und aus dem sich auflösenden Dunst erhob sich die Ansammlung der höchsten schneebedeckten Berge Amerikas. Sie thronten an einer Stelle, an der die zukünftige Grenze zwischen Alaska und Kanada verlaufen sollte, und sie erhoben sich in ihrer weißen Pracht 5.000 Meter, 5.500, ja, fast 6.000 Meter in den blauen Himmel, um sie herum eine Unmenge kleinerer Gipfel geschart. Es war ein überwältigender Anblick, der die Mühen der Reise rechtfertigte, und war in den Augen der Russen ein Versprechen, auf was sie noch alles stoßen würden, sollten sie jemals die Souveränität über dieses majestätische Land erhalten. Was für ein erhebender Augenblick, als sich der Sankt Elias, wie Bering ihn später taufte, ein Berg, fast 5.500 Meter hoch, in ihr Blickfeld schob. Europa hatte Alaska entdeckt.
Die See jedoch, die dieses Märchenland umgibt, gestattet ihren Besuchern selten längeres Verweilen oder gar intensive Forschungsarbeit, und die Eintragung ins Logbuch der »St. Peter« ein paar Stunden später liest sich folgendermaßen: »Bewölkt, dichter Nebel, unmöglich, eine Peilung vorzunehmen, da Küste von schweren Wolken
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