Alaska
können, lebte niemand mehr.
»Leg dich schlafen, kleiner Kapitän«, sagte Zhdanko, und eine Stunde später, um kurz vor fünf Uhr morgens auf einer einsamen, vom Sturm gebeutelten Insel, starb der alte Mann.
In den Meeren, die er mit so geringem Erfolg durchstreifte, erinnern zwei Bezeichnungen an seinen Namen. Das eisige Gewässer zwischen dem arktischen und dem Pazifischen Ozean trägt seinen Namen, die Beringsee, und es scheint, als hätte sie auch Eigenschaften von ihm übernommen. Sie ist streng, sie gefriert schnell, ist schwierig zu navigieren, wenn sich das Eis zusammenschiebt, und bestraft diejenigen, die ihre Kraft unterschätzen. Gleichzeitig wimmelt es in ihr von Fischen, und geschickte Jäger und Fischer belohnt sie reichlich. Es ist eine See, die den Namen eines so rauhen Menschen wie Bering verdient, und in diesem Buch werden wir noch oft auf sie stoßen, und immer wird ihr Name mit Respekt ausgesprochen werden.
Die Russen haben außerdem die einsame Insel, auf der er starb, nach ihm benannt: ein erbärmlicheres Andenken ist wohl noch keinem ordentlichen Seemann verliehen worden. Aber es wird immer Kritiker geben, die der Meinung sind, er sei kein guter Navigator gewesen, und sie werden entgegenhalten: »Kein erstklassiger Seemann hat sich jemals so viel vorgenommen, seine Unternehmungen aber so miserabel organisiert und so wenig erreicht.« Die Geschichte hat es nicht leicht, solche Debatten zu entscheiden.
Die Erforschung Alaskas wurde durch zwei sehr stark entgegengesetzte Menschentypen vorangetrieben: Entweder waren es entschlossene Forscher von anerkanntem Ruf wie Vitus Bering und andere historische Gestalten, die wir noch kennenlernen werden, oder sie gehörten zu den hartgesottenen, namenlosen, handeltreibenden Abenteurern, die allerdings oft handfestere, brauchbarere Ergebnisse aufzuweisen hatten als die »Berufsforscher«, die ihnen vorausgingen. Diese zweite Welle setzte sich in der frühen Phase der Entdeckung hauptsächlich aus Verbrechern, Dieben, Mördern und rauhen Burschen zusammen, die in Sibirien geboren waren oder dort ihre Strafe abgesessen hatten, und ihr Wahlspruch, als sie begannen, die Aleuten auszukundschaften, war kurz und bündig: »Der Zar ist weit weg in Petersburg, und Gott ist oben im Himmel. Der kann uns nicht sehen. Und wir hier unten auf der Insel können tun und lassen, was wir wollen.«
Trofim Zhdanko etwa, der den Hungerwinter auf der Beringinsel wie durch ein Wunder überlebt hatte, wurde durch eine Verkettung merkwürdiger Umstände zu einem dieser handeltreibenden Abenteurer. Nachdem er sich bis zu Russlands Stützpunkt im Osten, dem Seehafen Ochotsk, durchgeschlagen hatte, von wo aus er, wie er vermutete, nach Petersburg geschickt werden sollte, wurde er sich während der sechsmonatigen Wartezeit darüber klar, dass er nicht das geringste Verlangen hatte, wieder zurückgeschickt zu werden: Ich bin einundvierzig. Mein Zar ist tot; was erwartet mich also in Sankt Petersburg? Und meine Familie ist auch tot, was soll ich also in der Ukraine? Je deutlicher er sich seine Aussichten vor Augen führte, desto anziehender fand er die Vorstellung, im Osten zu bleiben, und er hörte sich um, welche Chancen er hatte, irgendeine Arbeit bei der Verwaltungsbehörde zu bekommen. Er hatte erst an wenigen Stellen nachgefragt, da war er bereits um eine Lebenserfahrung reicher: Wenn es in einer der auswärtigen Provinzen wie Sibirien einen guten Posten zu vergeben gab, dann erhielt ihn immer ein Beamter aus dem Mutterland Russland. Andere brauchten sich erst gar nicht zu bewerben.
So saß er eines Morgens im Juni des Jahres 1743 träge in der Sonne herum, als sich ihm ein Mann, offenbar aus Sibirien, dunkelhäutig und mit mongolischen Gesichtszügen, näherte und ihn ansprach: »Poznikov ist mein Name, ich bin Kaufmann. Sie sehen mir recht kräftig aus.«
»Hab’ schon Kräftigere gesehen.«
»Sind Sie jemals zur See gefahren?«
»Bis zum anderen Ufer«, und als er Richtung Amerika zeigte, staunte der Kaufmann, ergriff ihn am Arm und drehte den Kosaken herum, um ihn sich von allen Seiten anzusehen.
»Waren Sie auf Berings Schiff?«
»Hab’ ihn begraben. Großartiger Mensch.«
»Sie müssen mit mir kommen. Sie müssen meine Frau kennenlernen.«
Der Kaufmann führte ihn zu einem wohlhabend eingerichteten Haus, von wo aus man einen Blick über den Hafen hatte, und dort lernte Zhdanko Madame Poznikova kennen, eine Frau von herrischem Wesen, offenbar nicht aus
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