Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
und es gibt schon Maronen.«
Alfred hatte seinem Kollegen verwundert nachgeschaut, als dieser mit gezücktem Taschenmesser die direkte Umgebung des Geschehens verließ. Er wusste jetzt schon, dass es wieder ihn treffen würde, bei der Obduktion dabei zu sein. Von daher konnte er sich auch gleich den Magen verrenken und sich intensiver mit dem Anblick der Leiche beschäftigen. Es war offensichtlich, dass der Mann nicht hier im Wald zu Tode gekommen war. Er war völlig nackt, von seinen Kleidern keine Spur. Sein Körper wies viele kleine Wunden und Narben auf, die aber schon älter waren. Die Todesursache schien ein sauberer Genickschuss zu sein, womöglich eine Hinrichtung? Leider hatte es in den letzten vierzehn Tagen ziemlich viel geregnet, auf Spuren konnte man daher kaum hoffen. Es schien jedenfalls so, als ob der Täter reichlich Zeit gehabt hätte, denn der Leichnam war sorgfältig versteckt worden. Der oder die Täter hatten Äste, Zweige, Laub und Moos nicht einfach auf ihn draufgeschaufelt, sondern den Grabhügel geschickt in den Waldboden integriert.
»Nun, junger Freund«, Herbst stand hinter ihm. Er hielt seine braune Strickweste wie einen Sack in der linken Hand und aus einem Armloch lugten ein paar junge Waldpilze, »kannst du die Sprache dieses Todes verstehen?«
»Ich weiß nicht«, Alfred blickte aus der Hocke abwechselnd Herbst und den Kollegen der Spurensicherung an. »Er hat viele kleine Wunden und Verletzungen überall am Körper.«
Alfred richtete sich auf und sah Herbst in die blassblauen Augen, die, wie es ihm vorkam, seine Gedanken lesen konnten.
»Das war keine Folter«, sagte Herbst, »das können schon eher Kriegsverletzungen sein oder nähere Bekanntschaft mit einem Stacheldrahtverhau. Vielleicht war er ja Soldat. Außerdem Folter und dann gleich ein Genickschuss? Nein, nein.«
Viele Fragen blieben offen. Warum hatte der Mörder sein Opfer zum Beispiel nicht gleich tief vergraben? Anscheinend spielte es keine Rolle, ob man die Leiche entdeckte oder nicht. Alles, was der Täter brauchte, war wohl etwas Zeit gewesen, um wieder zu verschwinden. Einen Tag, vielleicht zwei. »Warum sich also mit dem schwierigen Waldboden abmühen?«, fragte Herbst rhetorisch.
Kurz darauf war Staatsanwalt Eckstein auf der Bildfläche erschienen. Er war schon im vorgerückten Alter und hatte eine wesentlich jüngere Frau geheiratet, die größten Wert auf ein modisches Erscheinen ihres Gatten legte. Was an sich ja noch kein Malheur gewesen wäre. Nur leider war Staatsanwalt Eckstein von Geburt an farbenblind und konnte sich so nicht gegen die gestalterischen Ambitionen seiner Frau wehren. Heute trug er eine hellblaue Bundfaltenhose zu einem ebensolchen Sakko, das an der Taille etwas knapper, dafür an den Schultern etwas ausladender geschnitten war. Die Schulterpartie wurde außerdem durch großzügige Polster zusätzlich aufgewertet. Darunter trug er ein pinkfarbenes Hemd mit einer dünnen Lederkrawatte. Seine Füße steckten in weißen Slippern der Größe 45. Alfred wusste nicht genau, mit wem er mehr Mitleid haben sollte, mit der Leiche oder mit Staatsanwalt Eckstein. Dem Zeitgeist und seinem noch jungen Alter zum Trotz war Alfred ein Bewahrer von klassischem Stil und Eleganz. Mit Schwarz, Weiß und Grau konnte man nichts falsch machen. Dazu ein paar Farbtupfer in möglichst natürlichen Tönen, fertig – war doch nicht so schwer. Die modischen Kapriolen der letzten Jahre konnte er nicht nachvollziehen, er verstand aber langsam den Sinn von schwarzen Roben als Dienstkleidung vor Gericht.
»Na, das ist ja wieder mal typisch«, hatte Eckstein gestöhnt, als er sich mit den wesentlichen Umständen des Falles vertraut gemacht hatte, »andere bekommen Serienmorde, einen reichen Erbonkel oder wenigstens einen Prostituiertenmord. Nur ich muss mich immer mit so was herumschlagen. Herbst!«
»Herr Staatsanwalt?«
»Und wer sind jetzt Sie?«, wandte sich Eckstein an Alfred.
»Kommissar Albach, Herr Staatsanwalt«, antwortete er zackig.
»Ja, natürlich. Sie wurden aber erst kürzlich zur Mordkommission überstellt, oder?«
»Aber Herr Staatsanwalt«, sprang Herbst ein, »Kollege Albach ist doch schon seit fast fünf Jahren bei uns. Sie erinnern sich doch sicher an den Fall Wegener, den er fast alleine gelöst hat.«
»Selbstverständlich. Da hatten Sie aber noch längere Haare und einen Schnauzbart«, befahl Eckstein.
Alfred, der Bärte jeder Art schon immer verabscheut hatte und die Haare seit der
Weitere Kostenlose Bücher