Albach und Mueller 01 - Russische Seelen
unsäglichen Föhn-Frisuren-Welle immer betont kurz trug, widersprach nicht. Es war allgemein bekannt, dass Eckstein nicht über das beste Gedächtnis verfügte und auch sonst ein eher zerstreuter Zeitgenosse war. Herbst zufolge war das aber keine Alterserscheinung, sondern schon immer so gewesen. Seine Erfolge verdankte Eckstein größtenteils dem Umstand, dass er sich immer sehr für die Belange der Polizisten und seiner anderen Mitarbeiter einsetzte. Er sah sie nicht als Erfüllungsgehilfen oder Handlanger an und war so in der glücklichen Lage, immer nur mit zufriedenen und motivierten Leuten zusammenzuarbeiten. Geschätzt wurde an ihm außerdem, dass er die Mordkommission nicht zwang, sich in aussichtslose Fälle zu verbeißen. Nichts war frustrierender, als monatelang hinter einem Fall her zu ermitteln, nur um ihn dann ohne Ergebnis zu den Akten zu legen. Zu Ecksteins zahlreichen Vorzügen gehörte weiterhin, dass er die Einschätzung über aussichtslose Fälle meistens der Polizei überließ.
»Tun Sie alles, was üblich und notwendig ist«, hatte er zu Herbst und Alfred gesagt, »von mir aus beziehen Sie die Presse mit ein. Irgendwelche Ergebnisse bitte ich, mir umgehend mitzuteilen. Ansonsten kommen Sie in vierzehn Tagen zu mir. Dann werden wir weitersehen. Noch Fragen?«
»Nein, Herr Staatsanwalt«
»Gut. Weitermachen!«
Es zeigte sich schon bald, dass Herbst und Eckstein Recht behalten sollten. Bei der Autopsie wurde der Genickschuss als Todesursache bestätigt. Gebiss und Schädel lieferten Hinweise, dass es sich bei dem Opfer um einen Osteuropäer, wahrscheinlich einen Russen handelte. Die morphologischen Feinheiten in der Anatomie konnten aber nur als Anhaltspunkte, nicht als Beweis gewertet werden. Es gab lediglich eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Herkunft des Toten, die auch vom Zustand der Leber und der Lunge zwar unterstützt, nicht aber abgesichert wurde. Der Mann hatte in seinem Leben auf jeden Fall schon ziemliche Mengen Alkohol genossen und außerdem Tabak geraucht, der durchschnittliche Europäer wie Herbst und Alfred schon längst umgebracht hätte. Die üblichen Maßnahmen zur Identifizierung unbekannter Toter brachten keine Ergebnisse. Fingerabdrücke, öffentliche Anschläge »Wer hat diesen Mann schon einmal gesehen?« blieben ebenso erfolglos wie Anfragen bei Interpol. Auch das charakteristische Gebiss verhalf der Leiche nicht zu einem Namen. Es war offensichtlich, dass er aus einer Gegend der Welt kam, wo die zahnmedizinische Versorgung noch stark unterentwickelt war. Etliche Zähne waren gezogen, ein Eckzahn durch ein Imitat aus Edelstahl ersetzt worden. Auch dieses Indiz wies Richtung Osten. Laut Gerichtsmedizin ließen sich hier typische Behandlungsmethoden von Militärärzten des Warschauer Paktes erkennen.
Was übrig blieb, war ein großes Rätsel und zwei Polizeibeamte auf der Terrasse des Café Kröll. Die Terrasse befand sich im ersten Stock, zu ihren Füßen lag der Hauptmarkt mit seinen berühmtberüchtigten Marktfrauen sowie dem Schönen Brunnen und der Frauenkirche. Unablässig trieben die städtischen Fremdenführer Schulklassen und Touristen verschiedenster Nationalitäten über die Szenerie.
Alfred hatte sich ein Kännchen Kaffee gegönnt, während Herbst seinen obligatorischen Pfefferminztee trank. In der Tat hatte Alfred ihn kaum je etwas anderes als Pfefferminztee trinken sehen. »Kaffee«, pflegte er zu sagen, »Kaffee ist gar nicht gut.« Alfred hatte es schon längst aufgegeben, Herbst in allen Einzelheiten verstehen zu wollen. Er gefiel sich anscheinend in der Rolle des Sehers, der in dichte Rauchschwaden gehüllt rätselhafte Prophezeiungen von sich gab. Viele Kollegen bezeichneten Herbst als schwierig, einige sogar als vollkommen verrückt. Aber seine Erfolge waren nicht zu bestreiten. Das Unheimliche an ihm war wohl, dass kaum jemand seine Methoden, Vorgehensweisen oder gar Gedanken nachvollziehen konnte. Alfred hatte nach einiger Zeit der Verwunderung einfach beschlossen, Herbst nicht dauernd zu hinterfragen, sondern einfach zu beobachten und sich auf ihn einzustellen. So hatte er herausgefunden, dass Herbst meistens eine simple Verwirrungsstrategie anwandte. Er fragte Hauptverdächtige nach ihrem Namen, dem Mädchennamen der Mutter und Großmütter und hielt ihnen Vorträge über die Nachteile von modernem Mineralwasser. Dieses sei nämlich tot und damit grundsätzlich von Übel. Er empfahl ihnen nachdrücklich in der U-Haft nur Leitungswasser
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