Albert Schweitzer
durch unvernünftiges menschliches Tun maßgeblich mit verursachte
Klimawandel
. Eine brandaktuelle Studie des Versicherungskonzerns Allianz und der Umweltstiftung WWF (World Wide Fund For Nature) schlägt Höchstalarm. Bis 2050 – so die Kernaussagen der Studie – wird das Weltklima an zwölf Brennpunkten umkippen – mit katastrophalen Folgen für die menschlichen Lebensräume und die gesamte Biosphäre. Von Schäden in zweistelliger Billionenhöhe ist in dieser Prognose die Rede. (Wir Menschen scheinen immer erst dann aufmerksam zu werden, wenn von Geld gesprochen wird.)
Als die gravierendsten Brennpunkte in naher Zukunft hat man die Eisschmelze an den Polen, extreme Dürreperioden vorallem in Kalifornien und Südeuropa, einen veränderten Sommermonsun in Indien sowie ein massives Baumsterben in den noch riesigen Urwaldflächen des Amazonas ausgemacht. Wenn durch das Abschmelzen der Polkappen der Meeresspiegel ansteigt, wird dies insgesamt 136 Millionenstädte in Küstennähe betreffen. Sturmfluten werden dort unvorstellbare Schäden anrichten. Wenn wir ohne Gegenmaßnahmen zulassen, dass drei Viertel des Amazonas-Regenwaldes absterben, werden dadurch zusätzlich große Mengen an schädlichem Kohlendioxid freigesetzt. Durch eine Verschiebung des indischen Sommermonsuns drohen große Teile der Himalaya-Gletscher wegzuschmelzen, wodurch etwa eine Milliarde Menschen, die in den von der Schmelze betroffenen Gebieten hauptsächlich von der Landwirtschaft leben, in ihrer Existenz bedroht sind. Probleme in der Wasserversorgung, Schäden in der Landwirtschaft, Bedrohung der Wälder werden die irreversiblen Folgen sein, wenn Extremdürren und – oft von Menschen selbst gelegte – Waldbrände weiterhin Kalifornien und die Länder Südeuropas heimsuchen.
Die Schreckensszenarien dürften schon bald bittere Realität werden, wenn wir nicht alles Menschenmögliche tun, um ihnen entgegenzusteuern. Doch wie beschämend und verantwortungslos sind die Ergebnisse der bisherigen sogenannten Klimagipfel! Da werden notwendige Entscheidungen zur Reduzierung des von Menschen verursachten Kohlendioxid-Ausstoßes einfach blockiert, weil man kurzfristige nationale Interessen über das Wohl der Menschheit stellt. Wenn wir nicht begreifen, dass Ehrfurcht vor dem Leben unser leitendes Motiv sein muss, dann werden wir weiter das kümmerliche Flickwerk kurzsichtigen Krisenmanagements betreiben, blind darauf vertrauend, es werde schon irgendwie alles gut gehen, nach dem naiven Motto: Die da oben kriegen das schon hin. SchweitzersAppell an die Verantwortung jedes
Einzelnen
– im Rahmen seiner je eigenen Einflussmöglichkeiten – erweist sich auch hier als brandaktuell.
Ein weiteres Thema kann in diesem Kapitel nicht fehlen:
die Pädagogik
. Schweitzer war ein pädagogisch denkender Mensch. Sein Postulat der Ehrfurcht vor dem Leben war zugleich eine erzieherische Zielsetzung. Wenn er Menschen zum elementaren Nachdenken bringen wollte, wenn er ihnen den Respekt vor allem Lebendigen ans Herz legen wollte, wenn er sie zur ethischen Gesinnung bringen wollte, so waren das allesamt pädagogische Zielsetzungen. In einer Zeit, da Bildung immer mehr auf pure Ausbildung reduziert zu werden droht, ist zu befürchten, dass diese Schweitzerschen Grundanliegen aus dem Blickfeld geraten. Solide schulische Ausbildung ist nötig, das steht außer Frage. Aber sie muss einhergehen mit dem, was man so altmodisch als Herzensbildung bezeichnet. Im Grunde ist die Erziehung zur Ehrfurcht vor dem Leben eine umfassende Form der Herzensbildung. Vernachlässigen wir diese Dimension erzieherischen Wirkens, dann bilden wir nur noch funktionierende Menschen aus, aber erziehen nicht mehr zum denkenden, fühlenden Mitmenschen.
Als Schweitzer 1923 im ersten Teil („Verfall und Wiederaufbau der Kultur“) seiner „Kulturphilosophie“ die geistige Situation der Zeit analysierte, schrieb er zum Thema Pädagogik: „In allen Berufen, am meisten vielleicht in der Wissenschaft, tritt die geistige Gefahr des Spezialistentums für den Einzelnen wie für das allgemeine Geistesleben immer deutlicher hervor. Schon macht sich auch bemerkbar, dass die Jugend von solchen unterrichtet wird, die nicht mehr universell genug sind, um ihr die Zusammenhänge der Einzelwissenschaften zum Bewusstsein zu bringen und ihr die Horizonte in ihrer natürlichen Weite aufzubauen... In der Verwaltung, im Unterrichtswesen und in jeder Art von Betrieb wird der natürliche Spielraum der Betätigung
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