Albertas Schatten
Fall natürlich, daß sie sich so sehr und so lange gewünscht hat, sich in einen Mann zu verwandeln – verstehen Sie, daß sie sich für einen Mann ausgegeben hätte. Das könnte eine Spur sein, die ziemlich schwer zu verfolgen wäre.«
»Das halte ich für unwahrscheinlich«, sagte Kate, »nach meiner derzeit unmaßgeblichen Meinung für sehr unwahrscheinlich. Sie hatte ein Junge sein wollen – welches Mädchen mit Verstand wollte das nicht? Beide Akademikerinnen, die Charlie Toby in den Briefen schildert, wollten Jungen sein. Aber von da bis zu dem Entschluß, sich auf unbestimmte Zeit als Mann zu verkleiden, ist es ein langer Weg. Vor allen Dingen heutzutage, wo Frauen sich genauso bequem kleiden können wie Männer, wenn sie wollen.«
»Eine von vielen Spuren, die ich verfolgt habe«, sagte Richard und hielt ihr seine Tasse zum Nachschenken hin, »war die Möglichkeit, daß sie eine Stelle auf einer anderen Farm angenommen hat.
Verstehen Sie mich richtig, ich habe es keinen Augenblick lang wirklich gedacht, weil ich an das glaubte, was sie in ihr Tagebuch geschrieben hat; aber es hätte eine Falle sein können, die mich zu genau dieser Folgerung führen sollte. Also habe ich eine Menge Nachforschungen angestellt über Landarbeiter, die kürzlich in der Gegend angeheuert hatten und auch in anderen Teilen von New England. Das sagt sich so leicht in einem Satz, nicht wahr? Aber es hat viel Zeit gekostet, die vielen Fragen, die man stellen muß, die scheinbare Wertschätzung, die man an den Tag legen muß, weil man hofft, ein paar Neuigkeiten aus den Leuten herauslocken zu können.
Zum Glück tratschen Farmer gern, Männer wie Frauen. Ihr Leben ist einsam, warum also sollten sie nicht? Das Fazit war, daß die neuen Arbeitskräfte, die kürzlich eingestellt worden waren, sich als zu klein oder zu fett oder bärtig herausstellten, in keinem Fall aber als Alberta Ashby. Eine Verkleidung kann nur soweit gehen. Und was noch hinzukommt: Die Farmersleute, für die sie gearbeitet hat, glauben nicht, daß sie ihnen davongelaufen ist, genauso wenig wie Charlie.
Vielleicht war Alberta Ashby die größte Betrugskünstlerin der Welt, aber warum hätte sie dann ein solches Talent an irgendwelche Farmer und eine Biographin verschwenden sollen, die ihre Biographie sowieso weiterschreibt? Ich meine, wen wollte sie ›reinlegen‹ und warum? Wofür?«
»Die Antwort scheint mir in England zu liegen, bei den beiden Professorinnen, Charlotte und Sinjin, nicht wahr?«
»Ja, das scheint offensichtlich. Ich habe eine Menge Zeit in England zugebracht und eine Menge Geld ausgegeben – Charlies Geld.
Ich bin nicht billig, und dann sind da noch die Reisekosten und so weiter. Was ich Ihnen sagen möchte ist, daß ich nichts herausgefunden habe; das heißt, alles, was ich herausgefunden habe, war negativ.
Charlie sagte, ich könne ihr dieses Gespräch mit Ihnen in Rechnung stellen, aber das werde ich nicht tun. Ich hoffe, Sie werden etwas finden, was ich nicht gefunden habe. Vielleicht stellt sich heraus, daß die Farmersleute sie wegen eines Hühnereis, das sie aus dem Nest genommen hat und von dem wir nicht einmal etwas wissen, ermor-det, auf der Farm vergraben und ihr Tagebuch liegengelassen haben, um eine falsche Fährte zu legen. Aber das wäre wohl allzu abenteu-erlich.«
»Gibt es nicht irgendwelche Unterlagen über ihren Rückflug hierher?«
»Eigentlich nicht. Eine der Fluglinien ist schließlich damit herausgerückt – auf welche Weise ich ihrem Gedächtnis nachhelfen mußte, kann ich Ihnen kaum beschreiben-, daß ein Passagier, unmittelbar nachdem Alberta in England verschwunden war, in die Vereinigten Staaten zurückgeflogen ist. Eingetragen war dieser Passagier als Alberta Ashby. Aber das beweist gar nichts. Jeder kann behaupten, er sei Alberta Ashby. Sagen Sie es nicht, ich weiß, was Sie fragen wollen: Was ist mit ihrem Paß? Die Fluggesellschaften sind beim Vergleichen von Tickets und Pässen nicht besonders sorgfältig, jedenfalls ist es nicht schwer, ihnen einen falschen Paß vorzulegen und zu sagen, man sei Alberta Ashby. Die amerikanischen Behörden haben keine Unterlagen über ihre Ausreise oder ihre Einreise, und wenn sie welche hätten, würden sie sie mir nicht geben. Natürlich wäre in ihrem Paß ein Vermerk, aber der ist mit ihr verschwunden.
Ich hoffe, Sie beginnen das Ausmaß der Probleme zu erkennen.«
Kate lächelte Mr. Fothingale an. Sie bewunderte ihn, nicht nur, weil er frustrierter war, als
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