Albertas Schatten
mitarbeiten wollen?« fragte ich.
Wieviel sie mir über Dinge erzählen würde, die mit ihr selbst zu tun hätten, könne sie nicht ehrlich sagen, aber das meiste würde ohnehin aus den Papieren hervorgehen, und sie habe nicht die Absicht, etwas zurückzuhalten.
»Haben Sie Sinjin zufällig gefragt, wie sie zu einem Sohn wie George gekommen ist?« Ich konnte mich nicht zurückhalten, das zu sagen. »Bridge, Golf und nur ein Hauch von Verstand.«
»Ich habe nicht gefragt, sie hat es mir von sich aus gesagt.« Alberta sah auf ihre Hände hinunter, und nach einer Pause, die ich aus reiner Höflichkeit hätte füllen sollen, fuhr sie fort: »Sinjins Vater war ein charmanter Mann. Da er aber etwas Geld geerbt hatte, spielte er nur Golf und Bridge. Das waren für ihn die angenehmsten Dinge der Welt und sicherlich entschieden wichtiger als die kleine Harriet und ihre Mutter. Als Harriet erwachsen war, hatte sie alle Hoffnung in bezug auf intellektuelle Männer aufgegeben, und auch Männer der gehobenen Gesellschaftsschicht, wie ihr Vater, die nur daran dachten, sich zu amüsieren, waren ihr gleichgültig; also heiratete sie einen Automechaniker.«
»Einen Automechaniker«, schrie ich. Wir saßen im St. James Park, aber ich glaube, man hat mich bis auf die Kanalinseln gehört.
Alberta sah natürlich um sich wie ein aufgescheuchtes Reh, und ich schalt mich eine Idiotin. Aber sie lächelte. »Sinjin drückte es so aus:
›Leider hat George die frivolen Interessen seines Großvaters geerbt, aber nicht seinen Verstand, die Unbekümmertheit seines Vaters, aber nicht seine Geschicklichkeit; und meine Figur‹.« Sinjin wolle jetzt, nachdem Alberta gefunden war, George nur noch das hinterlassen, was sie an eigenem Einkommen habe, und dazu das Haus, das –
wenn man den Immobilienmaklern glauben konnte, die jede Woche anriefen – eine enorme Wertsteigerung erfahren hatte. (Es müßte ein neues Klo eingebaut werden, dachte ich boshaft.) »Das Wichtigste«, sagte Alberta, »war, daß Sinjin nicht wußte, was sie mit den Sachen meiner Tante anfangen sollte; sie wollte die Tantiemen, die noch immer ganz ansehnlich sind, mir überlassen. Ich dagegen wollte sie überreden, auch diese George zu hinterlassen; wir haben uns schließ-
lich darauf geeinigt, die Tantiemen aufzuteilen.«
»Ich kann nicht verstehen, warum Sie so großzügig sein sollten, wenn Sie meine offene Art entschuldigen«, sagte ich. »Sie können schließlich nicht für den Rest Ihres Lebens Kühe melken.«
»Ich habe schon ein kleines Einkommen«, sagte Alberta. »Ich bin der Meinung, es steht George rechtmäßig zu. Schließlich hätte es ja auch gut sein können, daß er mich nicht findet.«
»Ganz bestimmt hätte er Sie nicht gefunden«, sagte ich. »Deshalb hat Sinjin mich losgeschickt; nebenbei kannte sie auch meine Beweggründe. Ich finde, Sie sind es mir schuldig, das Geld zu nehmen.«
»Ich nehme die Hälfte«, sagte Alberta, und ich konnte kein weiteres Wort aus ihr herausbekommen.
Morgen werden wir beide uns mit Sinjin treffen. Wie Du Dir vorstellen kannst, war ich ziemlich überrascht, als Alberta mir das sagte, aber natürlich auch erfreut. Ich erwarte, daß man mich ermahnt, nett zu George zu sein, und mich über die Verantwortung eines Biographen belehrt; diese Belehrungen werde ich mehr als bereitwillig annehmen, schließlich kann ich den alten zerrupften Fleischberg gut leiden. Alberta ist ganz eindeutig der Meinung, daß Sinjin eine Art Wunder ist, herabgefallen auf Albertas Lebensweg wie das Manna bei den Hebräern. Ich kann mir nicht vorstellen warum; es ist nicht so, als ob Alberta eine Biographie schreiben wollte. Glaube nur nicht, daß mir eine solche Befürchtung nicht heftig in die Glieder gefahren wäre (das hast Du Ekel Dir natürlich auch schon gedacht).
Alberta schien all das zu erahnen und beruhigte mich; sie sagte, die Biographie ihrer Tante zu schreiben, käme für sie gleich nach der Aufgabe, Brautjungfer zu spielen. Von Zeit zu Zeit läßt sie sogar einen witzigen Spruch los, wie man sieht. Ich nehme beinahe an, daß unsere liebe Alberta all diese Probleme mit der Kleidung, was man anziehen soll und was nicht, verabscheut und sich zu Sinjin hingezogen fühlt, weil sie diesen Dingen nicht den allergeringsten Gedanken widmet (das weiß der liebe Himmel). Auch eine schlampig gekleide-te alte Frau kann eine angesehene Gelehrte sein – oder etwas ähnliches.
Nach dem Besuch bei Sinjin, denke ich, werden wir für ein oder zwei
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