Albertas Schatten
weil sie ursprünglich authentische Namen waren. Nimm zum Beispiel Merrill Ashley, die Ballerina. Sie hieß Linda Merrill. Eine andere Tänzerin, Linda Rosenthal, hatte aber den Namen Linda Merrill angenommen.
Also mußte Merrill Ashley den Namen Merrill Ashley erfinden.
Aber ›Linda Merrill‹ klingt eher wie ›Charlotte Lucas‹, meinst du nicht?«
Kam es nun durch die wundersame Entwicklung der Gene oder durch die Zeit, die sie mit der bewunderten Tante verbracht hatten, jedenfalls reagierten weder Leo noch Lillian mit dem geringsten Erstaunen auf diese Analyse einer Nomenklatur. »Wahrscheinlich hast du recht«, sagte Lillian. »Sobald etwas verdächtig wirkt, wirkt alles verdächtig; das habe ich schon oft bemerkt. Jedenfalls kommt jetzt etwas Merkwürdiges. Als ich mich entschlossen hatte, mit Toby zu reden, hat er sofort das Thema gewechselt. Weißt du, was er mir statt dessen erzählt hat, streng vertraulich natürlich?«
»Natürlich«, murmelte Kate.
»Also, ich habe es nur Leo erzählt und jetzt dir. Vielleicht kannst du einen Sinn darin erkennen. Vor Jahren hat Toby ein Testament für eine Schriftstellerin gemacht. Englisch und berühmt, mehr wollte Toby nicht sagen. Sie ist schon vor Ewigkeiten gestorben, wann genau weiß ich nicht. Dann kam eine andere Schriftstellerin, ebenfalls englisch und sehr akademisch, der die erste Schriftstellerin alles hinterlassen hatte, zu Toby und machte ihrerseits ein Testament. Als er das erste Testament abfaßte, war Toby bei einer anderen Anwaltskanzlei; er brachte die erste Schriftstellerin als Klientin mit, als er zu Dar & Dar kam. Jedenfalls, als die zweite vor kurzem Kontakt mit ihm aufnahm und wissen wollte, ob mit dem Testament alles in Ordnung sei und wir in der Lage wären, die Erben aufzufinden, konnte Toby sie nicht finden – ich meine die eine der beiden im Testament genannten Personen. Er hätte natürlich den Sohn der Frau ausfindig machen können, aber wo der war, wußte die Schriftstellerin selbst.«
»Gibt es irgendeinen Zusammenhang mit dem Verschwinden von Charlotte Lucas?« fragte Kate.
»Natürlich nicht«, sagte Leo. »Welchen Zusammenhang könnte es denn da mit einiger Wahrscheinlichkeit überhaupt geben? Lillian langweilt sich in der Textverarbeitung und sucht eine aufregende Abwechslung – wer könnte ihr das übelnehmen?«
»Hätte Toby denn irgendein Interesse daran, Charlotte Lucas zu finden?« fragte Kate.
»Ich habe noch nicht wieder mit ihm darüber gesprochen«, sagte Lillian. »Nur mit dir und Leo. Aber ich habe das Gefühl, wir sollten etwas unternehmen.«
»Hoffentlich nicht, ohne mit Toby darüber zu reden«, sagte Kate.
»Wir dachten, das könntest du vielleicht tun«, meinte Lillian.
»Warum denn ich?«
»Als Junganwalt aus einer anderen Kanzlei kann Leo schlecht mit Toby sprechen; er sollte nicht einmal etwas von der Sache wissen. Etikette, oder was weiß ich. Und ich glaube, als kleine Textver-arbeiterin kann ich nicht mehr Druck machen. Ich meine, es würde wirklich so aussehen, als versuchte ich, eine Szene zu machen. Du dagegen könntest Toby ganz beiläufig sagen, du hättest von der Sache gehört, und sie hätte deinen Detektivinstinkt angesprochen.
Würdest du das tun, Kate?«
»Wahrscheinlich nicht«, sagte Kate. »Aber laß mich darüber nachdenken. Ich werde euch in jedem Fall Bescheid sagen. Ich glaube, ich sehe unsere Gastgeberin auf uns zusteuern, um unsere kleine Gruppe zu sprengen. Ihr wißt ja, eine vertrauliche Plauderei ist nicht sehr partyfreundlich.«
»Lillian«, sagte Janice, »ich möchte dir einen neuen Partner aus Larrys Kanzlei vorstellen. Von der Harvard Law School. Ich habe ihm erzählt, daß du in Radcliffe studiert hast und daß ihr bestimmt eine Menge gemeinsam habt.«
Kate war geflüchtet, bevor sie Lillians Antwort hören konnte.
Lillian war wirklich sehr hübsch, aber unglücklicherweise, zumindest nach Meinung der meisten Fanslers, von konventionellen jungen Männern bis zur Verzweiflung gelangweilt. »Wenn ich den Standpunkt eines jungen Anwalts wissen möchte, kann ich immer Leo fragen«, war ihre übliche Reaktion. Leo verschwand jetzt auch, um irgend jemandem vorgestellt zu werden. Und Kate fragte sich, wann das Dinner stattfinden und ob es, wie Leo angedroht hatte, ein japanisches sein würde; die Japaner gehörten nicht gerade zu ihren ethni-schen Favoriten auf kulinarischem Gebiet; Kate hatte sich nie wirklich mit rohem Fisch anfreunden können.
Sie entdeckte einen
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