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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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bequemen Sessel am anderen Ende des Raumes und steuerte darauf zu. Lillian und Leo hatten ihr den ersten Teil des Abends angenehm gemacht; zum Dinner würde ihre Schwägerin sie irgendwo hinsetzen, wo sie mit einem dieser Juristen, der hoffent-lich nichts von ihrer Verbindung mit Reed wußte, Konversation treiben oder diese über sich ergehen lassen müßte; wahrscheinlich würde ihr Tischnachbar eine Menge höchst amüsanter Dinge sagen, die sie Reed später erzählen konnte. Bis dahin war ihr nach einer einsamen Zwischenrunde zumute. Aber kaum hatte sie den Sessel erreicht, da sprach sie auch schon ihr Bruder an. Nachdem er sie nun schon eingeladen hatte, fühlte sich Larry zweifellos verpflichtet, wenigstens ein Mindestmaß an Höflichkeit zu zeigen – was er so Höflichkeit nannte.
    »Nun, Kate«, sagte er und lehnte sich waghalsig an die Kante eines in der Nähe stehenden Tisches.
    »Na, was machst du denn so?« In einem für die mittleren Lebens-jahre so typischen Schwall von Erinnerungen fiel ihr ein, daß er sie schon als Schulmädchen auf die gleiche Weise auszufragen versucht hatte, wenn er von Harvard heimkam. »Nichts Besonderes, Larry«, hatte sie damals gesagt, und das sagte sie auch heute.
    »Ich freue mich, daß du gekommen bist«, sagte er, stand auf und tätschelte ihren Arm. »Du scheinst mit der Jugend besser zurechtzukommen als ich«, fügte er hinzu; was ein Kompliment hätte sein können, geriet ihm zur Beleidigung. »Nun, wenigstens haben die letzten Präsidentschaftswahlen gezeigt, daß sie zur Besinnung kommt. Nicht wie diese sechziger Generation. Recht beruhigend, nicht wahr?«
    Kate nickte geistesabwesend, als er wegging. Irgendwann im Laufe ihrer Beziehung hatte Kate beschlossen, Larry, ja alle ihre Brüder, seien es nicht wert, daß man mit ihnen diskutierte, eine Erkenntnis, die sie selbst traurig machte, ihre Brüder dagegen, daran hatte sie keinerlei Zweifel, mit Erleichterung erfüllte. Die Erkenntnis, daß ein Gespräch keinen Sinn hatte, war für Kate gleichbedeu-tend mit dem Aufgeben einer Beziehung. Manchmal fragte sie sich, da sie keine Schwestern besaß, wie es wohl gewesen wäre, einen netten Bruder zu haben, mit dem sie die Art von Kameradschaft verbunden hätte, wie sie sie jetzt für Leo und Lillian fühlte. Sei dankbar für das, was du hast, ermahnte sie sich selbst. Die jungen Leute sind die besseren Freunde, und obendrein haben sie den Vorteil, daß sie einen überleben und man nicht darauf warten muß, daß einem ihr Tod das Herz bricht. Ich habe es geahnt, ich hätte nicht herkommen sollen, sagte sie sich. Reed war offensichtlich dabei, die Verbindungen herzustellen, die für die Welt der Juristen, in der er sich jetzt bewegte, so wesentlich waren. Man mußte Leute kennen; man mußte so tun, als wäre man einer von ihnen, selbst wenn man es im Innern nicht war. Nur dann konnte man effektiv arbeiten.
    Aber beim Dinner erlebte sie eine freudige Überraschung: Man hatte sie neben Toby gesetzt. »Dafür habe ich gesorgt, Kate«, sagte er. »Ich hoffe, es macht dir nichts aus. Bei seinen Eskapaden im Interesse der jungen Leute unterstütze ich Larry zwar aus ganzem Herzen, aber als ich hörte, daß du kommst, habe ich mich mehr als sonst auf heute abend gefreut.«
    »Es tut gut, dich zu sehen«, sagte Kate, »und, zugegeben, es ist eine große Erleichterung. Ich dachte schon, ich müßte mit jemandem aus der Verwaltung reden, der auf dem Weg zur Spitze ist im Amt für Wirtschaftliche Entwicklung in New England: pausenlos nach oben auf der Karriereleiter.«
    »Über das, was unsere Juristen so bewegt, scheinst du gut unterrichtet zu sein.«
    »Es scheint, als wäre das mein Schicksal. Brüder, Ehemänner und nun auch die nächste Generation. Ich frage mich, wann wissens-durstige junge Leute wohl wieder Doktorgrade in geisteswissen-schaftlichen Fächern anstreben werden. Zweifellos herrscht jetzt ein anderes Klima. Aber wenn ich heute abend schon mit einem Juristen reden muß, was wohl unvermeidbar ist, bin ich froh, daß du es bist.«
    Kate war Toby zum ersten Mal begegnet, als sie beide jung und noch wendig waren, wendiger, so schien es Kate, als die Jugend von heute. Sie sagte es Toby: »Oder denkt das jeder, der älter wird und seine Illusionen verliert?«
    »Nein«, sagte Toby. »Ich glaube, du hast recht. Wir wußten, daß die Welt, in der wir lebten, nicht besonders gut war, aber das hinder-te uns trotzdem nicht an dem Versuch, sie zu verbessern. Die Jungen heute

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