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Albertas Schatten

Albertas Schatten

Titel: Albertas Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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anrief und ihr Interesse an seiner Arbeit zum Ausdruck brachte, freute er sich, sie zu sehen; er war wirklich so erfreut, daß sie den Schluß daraus zog, er habe ihre Anzeige nicht gelesen und sei sehr einsam. Es war ein Kinderspiel, eine Begegnung in ihrer Wohnung zu vereinbaren. Es bestand die Gefahr, daß er die Einladung mißverstehen und sie persönlicher auffassen könnte, als Kate beabsichtigt hatte, aber die war sicherlich nur von geringerer Bedeutung, wenn man alles andere in Betracht zog. Nur die Stan Wymans dieser Welt betrachteten es als selbstverständlich, daß sich jede Frau danach verzehrte, von ihnen begehrt zu werden; vielleicht lag gerade hier die Ursache für deren nur spärliche Erfolge, wenn Lillians Analyse zutraf. Reed hatte keine Schwierigkeiten, eine Art Abhöranlage zu installieren, als Kate nicht im Zimmer war; schließlich mußte er es ihr ja nicht auf die Nase binden.
    Ebenso sah er keine Notwendigkeit, Kate davon zu unterrichten, daß er einen Polizisten bei sich im Zimmer haben würde, einen Mann, der bewaffnet sein würde und der ihm einen Gefallen schuldete; außerdem besaß er die Fähigkeit, Gehörtes, falls erforderlich, umgehend zu vergessen.
    Kate hatte Martin zum Tee oder zu einem Drink eingeladen, nachdem Reed sie davon überzeugt hatte, daß es um so besser wäre, je eher das Treffen begänne. Als Kate Martin am Telefon die Ge-tränke zur Auswahl stellte, wählte er Bier, im Gegensatz zu Richard Fothingale.
    Vom Augenblick seiner Ankunft an saß Martin auf der vorderen Kante seines Sessels, die Arme auf die Knie gestützt, und machte einen deutlich nervösen und erschöpften Eindruck. Kate dachte daran, daß er ja seine Liebe und seine Frau verloren hatte und zum Teil auch seine Kinder. Er mußte kein Mörder sein, um gehetzt auszuse-hen.
    Kate gelang es, das Gespräch ganz natürlich zu beginnen, indem sie von ihrem neuerlichen Interesse an Charlotte Stanton sprach, selbstverständlich ohne die Ursachen zu erwähnen, die zu diesem Interesse geführt hatten. Martin schien sehr bereitwillig über sie zu sprechen, trotz der Tatsache, daß er von der Verbindung zwischen Charlotte Stanton und Alberta wissen mußte. Kate erwähnte noch, daß sie die Referate vom MLA-Kongreß in Houston gelesen hätte, und so bestand kein Grund mehr, irgendeinen Verdacht zu schöpfen über ihre wahren Motive.
    »Charlotte Stanton ist immer mit Graves verglichen worden«, sagte Martin, »und ich finde diesen Vergleich nicht sehr glücklich.
    Außer einer humanistischen Bildung und einem Talent zum Geschichtenerzählen haben sie nichts gemeinsam. Graves war ein Poet und voll von mystischen Überlegungen über die weiße Göttin und andere phantastische Theorien. Nach allem, was ich erfahren konnte, war Charlotte Stanton ein Mensch, der mit beiden Beinen auf der Erde stand. Man vergleicht sie auch, weil beide zur gleichen Zeit in Oxford waren, aber daraus läßt sich wirklich nur entnehmen, daß sie annähernd derselben Generation angehörten. Darüber hinaus gibt es meiner Meinung nach keine Ähnlichkeiten, über die man diskutieren könnte.«
    »Mögen Sie Charlotte Stantons Romane?« fragte Kate mit aufrichtiger Neugier.
    »Sie sind schon in Ordnung. Die Stanton ist romantischer als Graves; die Personen, die sie zeichnet – fiktive Personen natürlich –, haben höhere moralische Grundsätze, ein ausgeprägteres Ehrgefühl und eine größere persönliche Integrität, als das bei Graves der Fall ist. Und da ist noch etwas Merkwürdiges: Er schrieb über Frauen –
    haben Sie ›Homers Tochter‹ gelesen oder auch die Claudius-Novellen? Die Stanton schien Frauen zu verachten. Ich habe festgestellt, daß Frauen es unrealistisch finden, wenn Frauen in einer Geschichte aus dem alten Griechenland eine Rolle spielen; bei Männern ist das anders, zumindest bei einigen. Wie würden Sie sich das erklä-
    ren?«
    Kate merkte, daß diese Unterhaltung sie interessierte, seine Beobachtungen sie ansprachen. Aber war das denn so überraschend?
    Nicht alle Mörder sind brutale Menschen, offenbar; vielleicht sind es nur die, die erwischt werden. Intelligenz muß doch zu irgend etwas nütze sein – hier und anderswo. »Ich habe das auch oft festgestellt«, antwortete sie. »Wo akademisch gebildete Frauen davor zurück-schrecken, als fantasievoll zu gelten, können Männer diese Chance ergreifen. Und Graves war nicht einmal in einer akademischen Position, daran muß man auch noch denken.«
    »Sie meinen also, daß

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