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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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noch sicherer als Alkohol am Steuer.
    Im breiten Eingang des Kronensaals drängten sich Menschen. Viele Jugendliche, die sich lautstark begrüßten. Ich kannte keinen mehr von ihnen.
    Früher hätte ich mitten unter ihnen gestanden, wäre ebenfalls lautstark begrüßt worden, aber doch anders, wenn auch kaum merklich. Das hatte ich schon früh bemerkt – immer war eine Art respektvolle Scheu dabei, wenn die Tigerfelder mit mir redeten, als wäre man kostbarer oder empfindlicher als die Menschen von hier, wenn man vom Unterland heraufkam, oder als müsse man als Städter mit einer gewissen Behutsamkeit behandelt werden. Umgekehrt hatte ich als Kind in den ersten Tagen immer eine Scheu gespürt, bis ich mich im Dorf wieder eingelebt hatte.
    Auf der Treppe musterte ich die Plakate und Schilder, die an den braunfleckig verrauchten Wänden hingen. Ein an den Rändern zerfetztes großes Filmplakat war immer noch da. Ich hatte mit vierzehn kein Auge davon lassen können; ein amerikanischer Star der fünfziger Jahre mit großem Ausschnitt und blonden Locken: vielleicht Jayne Mansfield oder Rita Hayworth. Die Sexbombe – jetzt bleich und grünlich verfärbt – war wohl längst tot. Daneben prangten verschiedene blauhimmelige Reisebüroplakate mit
Bella Italia
.
    Es roch, wie es hier immer gerochen hatte, nach Kartoffeln, Bratensoße, Mist, Schweiß und kaltem Zigarettenrauch. Trotz Rauchverbots: Der Qualm eines halben Jahrhunderts würde sich nie mehr verlieren.
    Ich stand unschlüssig.
    Ein Bauer in meinem Alter, kräftig, untersetzt, rotes Gesicht, Trachtenjanker und Trachtenhose, auf dem Kopf einen Tiroler Hut, trat mit einem raschen Schritt auf mich zu.
    »Felix Fideler, auch mal wieder hiesig, wird aber auch Zeit«, sagte er breit.
    Ich erkannte ihn zuerst an der Stimme.
    »Fritz Pocherd«, sagte ich.
    »Mazzuoli hat uns gesagt, dass du kommst.« Er grinste über das ganze Gesicht. »Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.«
    Der Gesichtsausdruck, mit dem ich ihn musterte, machte ihn wohl unsicher.
    »Du wirst doch sprechen, heute Abend? Felix Fideler, der große Held von Wind und Wetter.«
    Ich schwieg. Fritz Pocherd brauchte mich. Das war mir sofort klar. Er war der wichtigste Investor für die neue Anlage. Daher die Herzlichkeit! Sie war aufgesetzt, diese breite Heiterkeit, die mich ganz unpassend an das Lächeln der Filmschauspielerin im Treppenhaus erinnerte. Nichts war in seinem Benehmen, das auf die Ereignisse vor zwanzig Jahren hinwies. Er war Albbauer, gleichzeitig aber auch selbständiger Unternehmer. Breite Schultern, breite Hände, breites Lachen. Seine Haut im Gesicht war durchzogen von Äderchen, die auf zu hohen Blutdruck schließen ließen. Sein Blick aber schien mir nach wenigen Augenblicken nicht bloße Verstellung. Ein gewisses Lächeln war noch übrig vom Fritz Pocherd, den ich Jahrzehnte gekannt hatte; die Wärme in den Augen, die ihn auch für Frauen anziehend machte, war nicht ganz verschwunden. Bei aller möglichen Verstellung war eine eigenartig entwaffnende Ehrlichkeit übrig geblieben.
    »Du stehst doch auf unserer Seite, Felix?«, sagte er scheinbar besorgt und zwinkerte zum Kronenwirt.
    »Ich messe und berechne«, antwortete ich, »das ist meine Aufgabe. Das Ergebnis kann ich dir erst sagen, wenn ich mit meinen Berechnungen fertig bin.«
    »Wie auch immer, du sitzt selbstverständlich an meinem Tisch, Felix. Da sitzen noch mehr, die du kennst.«
    Ich musste mich fügen. Andererseits war es mir plötzlich recht, nicht irgendwo im Saal allein sitzen zu müssen wie am Pranger – zumindest würde ich mir so vorkommen.
    Dann sagte Fritz Pocherd leiser, aber mit großzügiger Handbewegung: »Was war, ist vergessen, Felix. Keiner wird auch nur ein Wort davon sagen. Das garantiere ich dir. Vorbei ist vorbei, alles muss einmal ein Ende haben.«
    »Nur die Wurst hat zwei«, bekräftigte der Wirt. »Kommen Sie, Herr Dr. Fideler, bringen Sie frischen Wind in unser Nest.« Er legte den Arm um mich und zog mich hinein. »Schauen wir nach vorn.«
    »Seine Rechnung geht auf mich, klar?«, wandte Fritz sich an den Kronenwirt.
    »Nein, Fritz, auf das Haus selbstverständlich«, beharrte der Kronenwirt und zog mich weiter.
    Ich würde ihnen keine große Rechnung machen. Ich hatte in Pfronstetten zu Abend gegessen, es gab dort eine erstklassige, traditionell weit und breit gerühmte Schinkenwurst – zwei, drei Biere würden mir reichen an diesem Abend. Sicher war, dass ich nicht vom Reden durstig werden

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