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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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er.
    »Die internationalen Finanzmärkte in Tigerfeld«, ruft jemand dazwischen, »und dann krachen die Banken.« Klatschen und Lachen. Gesprochen hatte Lorenz Wachler, ein Bauer aus Aichelau, wie mir Fritz zurief.
    »Albspargel im Ganswinkel!«, schrie einer von der Türe her.
    Fritz erhob sich, schritt zu Jörg Fuchslocher am Tischende und flüsterte ihm ins Ohr.
    Jörg erhob sich unsicher. Es wurde gelacht.
    »Mein Geld ist sicher angelegt«, er stockte, »mit über sechs Prozent Zinsen. Könnt ihr alle auch haben.«
    »Dein Geld«, rief einer aus dem Saal, »wo ist es denn, dein Geld?«
    »Aber sechs Prozent. Die werden garantiert, zwanzig Jahre«, redete er weiter. Er sprach leise, stotternd, ungeübt. Im Saal war es plötzlich still.
    Sechs Prozent. Das Risiko hatte man Jörg verschwiegen: Würde die Anlage wie gewünscht funktionieren? Stimmte die Relation zu den Wartungskosten und Reparaturen? Würde das wirtschaftliche und politische Konzept zwanzig Jahre überleben?
    »Du willst also deine Heimat für Geld verkaufen?« Eugen Schacht, ein kerniger Bauer, sprang auf und brüllte mit seiner Bärenstimme.
    »Silberdisteln, Knabenkräuter, Segelfalter –«, kam es aus dem Saal.
    »Unsere schöne Alb!« Das war Anton Fendler.
    »Und das Klima, Fendler? Denkst du auch an das Klima?«, schrie Franz Wild aus Tigerfeld mit rotem Kopf.
    Von einem der Tische kam es: »Was soll das ganze Geschwätz vom Blümlein und Schmetterlingen? Uns geht es um das Geschäft, sonst nichts.«
    So ging es weiter.
    Dabei fehlten wichtige Aspekte der neueren wissenschaftlichen Diskussion auch hier in Tigerfeld fast ganz: Der Vorteil von Offshore-Windanlagen gegenüber Inlandanlagen zum Beispiel, wegen der größeren Intensität und Zuverlässigkeit der Winde. Und ebenfalls wie meist auch hier kein Thema: die Probleme der heute kaum vorstellbar kosten- und landschaftsverschlingenden europäischen Vernetzung und der Speicherung, die erneuerbare Energien nun einmal fordern.
    Deutlich ist, dass selbst miteinander verfeindete Gegner sich meist in einem einig sind: Windkraft ist wichtig, ja, ganz unverzichtbar. Aber überall, wird gesagt, gibt es bessere Standorte als gerade in in diesem Ort!
    »Geld ist wie Poker und Roulette zusammen, Felix«, brummte Fritz mir zu, »wenn du es nicht in schnelle Autos, Weiber mit dicken Klunkern oder Flüge auf die Bahamas anlegst. Dabei will ich nichts gegen ein flottes Spiel mit vernünftigem Risiko gesagt haben.«
    In der Schule haben sie ihn Dicksack genannt. Dabei war er gar nicht dick, im Gegenteil. Aber dick war der Geldsack seines Vaters, und mit sechzehn, siebzehn zeigte er allen, dass er reich war – tolles Fahrrad, später Moped, tolle Klamotten, Rundenausgeben in den Wirtshäusern, Mädchen, Mädchen, Mädchen, – alles, was man auf der Schwäbischen Alb eigentlich nicht gerade übertreibt.
    Schließlich verfiel Michel Groß, einer der Investoren, auf mich, ich sollte den Schiedsrichter machen.
    »Was reden wir drum herum. Der Fachmann sitzt da: Felix Fideler, den kennen wir alle. Denn wenn der Wind stimmt, stimmt alles andere auch, das Geld und der Naturschutz, das Klima und der Fortschritt. Wir wollen ein Windrad bauen, Leute, keine Mühle am Bächlein!«
    »Ja«, schrie nun wieder Franz Wild, »und sag denen mal auch, Felix, ob das Windrad nicht besser in Hayingen steht.«
    »Und das Digelfeld? Was ist damit?«, rief ein anderer.
    Das Digelfeld bei Hayingen, eine knappe Gehstunde von Tigerfeld, ist eine der größten Wacholderheiden auf der Schwäbischen Alb, ein Naturschutzgebiet voll der seltensten Pflanzen und Tiere. Kahl, aber in einer Senke gelegen, völlig ungeeignet für Windkraft.
    »Felix!«, schrie einer aus dem hinteren Saal, »Felix Fideler, es ist besser, wenn du das Maul hältst. Wir brauchen dich hier nicht!«
    Ich sprach sehr knapp und kurz und sachlich und eigentlich zu leise. Einen Versuch, die Messmethoden, die Teilschritte und ihre Auswertung darzustellen oder auch nur zu erklären, was ein Anemometer ist, unterließ ich.
    »Ich messe den Wind«, schloss ich, »ich mache ihn nicht. Ich erschließe aus Messungen die wirtschaftliche Qualität der Anlage, aber ich brauche dazu Zeit.«
    Ein Zettel wurde mir zugesteckt, Handschrift:
Klarer, immer drauf, zeig’s ihnen! Pocherd
.
    Es war seine typische selbstbewusste steile Unterschrift mit einem Schnörkel am Schluss. Sie hatte sich kaum verändert. Ich steckte den Zettel weg.
    Im Übrigen war es schon nach zwölf; ich wollte

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