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Albspargel

Albspargel

Titel: Albspargel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Günther Bentele
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reif.«
    So gab es einen übersüßten Honigkuchen, den der Bäcker Bienenstich genannt hatte.
    Sie waren seit vierzig Jahren verheiratet und hatten einen behinderten Sohn, Albrecht, der jetzt über dreißig wäre, aber vor ein paar Jahren gestorben war. Er hatte das Down-Syndrom gehabt, ein lieber Junge. Offenbar von einer überraschenden fröhlichen Intelligenz, wie sie bei dieser Behinderung immer wieder zu finden ist.
    Anton war städtischer Beamter im Ordnungsamt Reutlingen gewesen, jetzt im Ruhestand mit etwas Arbeit in einem Krautgarten, zwei Obstwiesen und dem Hühnerstall. Die beiden waren die einzigen Menschen, die damals, ohne zu überlegen, vom ersten Augenblick an auf meiner Seite gestanden hatten.
    »Da, dieses Zeug findest du jeden Tag in deinem Briefkasten.«
    Anton legte einen Stapel Einzelblätter vor mir auf den Tisch – Flugblätter beider Seiten. Sie unterschieden sich nicht von denen anderer Windprojekte: Ein Gemisch aus Wissenschaft, Kenntnis, Halbwahrheiten und bewusster Lüge; aus Politik, Wirtschaft und Naturschutz. Wobei der Naturschutz auch hier seltsam gespalten war: in Zustimmung aus überregionalen Gründen des Weltklimaschutzes und Verzichts auf Atomkraft und entschiedener Ablehnung aus regionaler Sicht – Äußerungen oft derselben Gruppe.
    Anton nannte Namen: Der Winkler, der Schuster, der Fritz Pocherd, Walter Bähr, Michel Groß, der Hinterberger, der Biechle, der Kemmerle, der Gottlob Fleck, der seit vielen Jahren im Rollstuhl saß, der Bucher Eugen, der Roller, Adolf Braun, der sich vor fünfzehn Jahren nach Gammertingen verheiratet hatte; sie waren alle dafür. Jeden von ihnen kannte ich, mit den meisten hatte ich gespielt oder gestritten oder sonst etwas zu tun gehabt.
    Der wichtigste Investor war Fritz Pocherd. Er war noch immer der größte Bauer im Ort, das hatte ich ja gerade von Jörg Fuchslocher erfahren. Er war fünf oder acht Jahre jünger als ich, der Sohn des reichsten Bauern im Flecken. Der alte Pocherd musste längst tot sein. Der Sohn von Fritz, Karl, war in den USA in Kansas City, die Tochter Maja verheiratet im Ruhrgebiet. Auch der Winkler war noch hier. Seine Kinder waren alle weit fort, aber aus allen war etwas geworden. Der Kemmerle war auf dem Stadtbauamt in Biberach, seine Ehe war kinderlos geblieben, seine Frau lebte getrennt von ihm, hatte sich aber nicht scheiden lassen. Der Roller Fritz war noch am Ort, sein Hof lief schlecht, aber die Tochter hatte einen Zahnarzt in Wangen geheiratet. Der Alfons Hinterberger hatte einen Kälbermastbetrieb – viel Arbeit, und der Hof war nur dadurch zu halten, dass seine beiden Söhne im Sommer nicht in Urlaub fuhren, sondern ihrem Vater bei der Ernte halfen.
    Der Schuster Hans führte einen Prozess mit dem Pocherd, weil der unbedingt seinen großen Acker am Kettenacker Weg bei der zugeschütteten neuen Hüle brauchte, den ihm der Schuster Hans nicht geben wollte. Pocherd wollte dort eine Biogasanlage bauen. Auf keinem seiner anderen Äcker hätte er dazu eine Genehmigung bekommen. Jetzt als Windkraftinvestoren aber traten sie auf wie unzertrennliche Freunde.
    »Alles Theater!«, sagte Anton.
    Er griff etwa acht Namen heraus: »Das sind die Wichtigsten, die das mit dem Windrad betreiben: Die Kerle fragen nach nichts, da kannst du machen, was du willst.«
    Ich rechnete ihm hoch an, dass er keinen Versuch unternahm, mich zu irgendeiner Aussage zu bewegen oder mich durch die Freundschaft zu beeinflussen.
    Aber er zählte seine Gründe gegen die Anlage auf. »Viel zu nah am Ort, du hörst jede Drehung, auch in Huldstetten und bis hinüber nach Geisingen.«
    Der Schutz der Vögel: Trauerschnäpper, Rotrückiger Würger, die es am Rand des Lehenwaldes noch gab.
    »Wir haben in den paar alten Eichen da oben sogar Hirschkäfer und einige Fledermausarten, die auf der roten Liste stehen. Diese Eichen müssten gefällt werden.«
    Ich dachte an den Juchtenkäfer in den morschen Platanen des Stuttgarter Schlossgartens.
    Er berichtete weiter über Bodenbrüter und Schmetterlinge wie Trauerfalter, Segelfalter, Schwalbenschwänze; sogar der Apollofalter sei dort oben schon gesehen worden. Gefährdet wären Silberdistel, Knabenkräuter, Bienenragwurz, Enzian, Küchenschelle und andere Albraritäten. Ich kannte ähnliche Aufzählungen an anderen Orten, die aber alle nicht in mein Ressort gehörten. Auch die Veränderungen der Landschaft, die von der Anlage ausgehen würden und die er nun darstellte, gingen mich nicht wirklich etwas

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