Albtraum
Sie krallte die Finger ins Laken. „Ich wollte nicht, dass du dich an ihr vergehst, dass du mein Vertrauen missbrauchst und …“
„Du bist eine Nutte“, fiel er ihr schlicht ins Wort. „Dir waren immer nur Partys, Männer und hübsche Klunker wichtig. Julianna war nur ein Spiel zeug für dich, ein Mittel zum Zweck,mit dem sich die müde alte Hure ein bisschen Respekt erkaufen konnte.“
Sylvia wollte ihm das Gesicht zerkratzen, doch er schlug ihr mit dem Handrücken auf die Nase, so dass ihr Kopf gegen das Kopfteil des Bettes flog. Sie war benommen. Er drückte ihr den Lauf der Waffe unter das Kinn, direkt auf den heftig schlagenden Puls dort, und zielte Richtung Hirn.
„Bei Julianna und mir geht’s nicht ums Vögeln, Sylvia. Obwohl ich bezweifle, dass du das verstehst. Ich habe sie leben gelehrt.“ Er beugte sich zu ihr hinüber und nahm den Geruch der Angst wahr, der sich mit dem von Blut und anderen Kör perflüssigkeiten mischte, erdig, aber sehr lebendig. „Ich habe sie Liebe gelehrt, Loyalität, Verantwortung und Gehorsam. Ich bin alles für sie … Vaterfigur, Freund, Mentor, Geliebter. Sie gehört zu mir. Für immer.“ Er fasste die Waffe fester. „Ich will sie zurückhaben, Sylvia. Wo ist sie? Was hast du mit ihr gemacht?“
„Nichts“, flüsterte sie. „Sie ist … aus freien Stücken gegangen. Sie …“ Ihr Blick schweifte wieder zu dem Toten neben ihr und dem immer größer werdenden Blutfleck auf dem weißen Satinlaken. Ihre Stimme versagte vor Entsetzen.
John griff ihr ins Haar und drehte ihren Kopf heftig wieder zu sich her. „Sieh mich an, Sylvia! Nur mich! Wohin ist sie gegangen?“
„Ich weiß nicht. Ich …“
Er riss an ihrem Haar und schüttelte sie. „Wohin, Syl?“
Sie begann hysterisch zu kichern und legte sich eine Hand vor den Mund. „Sie kam zu mir, weil du wolltest, dass sie abtrieb. Ich sagte ihr, du wärst ein Monster, ein kaltblütiger Killer. Sie glaubte mir nicht, deshalb rief ich Clark an.“ Bizarr angesichts ihrer Lage, doch ihr Kichern wurde triumphierend. „Er zeigte ihr Bilder deiner Arbeit. Beweise, John. Beweise!“
John erstarrte geradezu in eiskalter Wut. Clark Russell, CIA-Spezialist, früherer Waffenbruder, einer von Sylvias Liebhabern. Einer, der zu viel über John Powers wusste.
Clark Russell ist ein toter Mann.
John beugte sich zu Sylvia hinüber. Mit der Waffe unter ihrem Kinn schob er ihren Kopf nach hinten. „Clark gibt vertrauliche Informationen preis? Dann musst du im Bett besser sein, als ich dachte.“ Er verengte die Augen. Ihm missfiel, wie heftig sein Herz schlug und wie seine Hände schwitzten. „Das hättest du nicht tun sollen, Syl. Es war ein Fehler.“
„Zur Hölle mit dir!“ schrie sie ihn an. „Du wirst sie nicht finden! Ich habe ihr gesagt, sie soll so schnell und so weit wie möglich weglaufen und sich und das Baby retten. Du wirst sie niemals finden. Niemals!“
Den Bruchteil einer Sekunde entsetzte ihn diese Vorstellung. Dann lachte er. „Natürlich finde ich sie, Syl. Das ist mein Beruf. Und wenn ich sie finde, wird das Problem eliminiert. Danach werden Julianna und ich wieder so zusammen sein, wie es sein soll.“
„Du wirst sie nicht finden! Niemals! Du …“
Er drückte ab. Blut und Hirn spritzten gegen das Kopfteil des antiken Bettes und auf die Rosentapete dahinter. John sah einen Moment lang darauf und stand auf. „Goodbye, Sylvia“, flüsterte er, wandte sich ab und begab sich auf die Suche nach Julianna.
TEIL I
KATE UND RICHARD
1. KAPITEL
Mandeville, Louisiana, Silvester 1998
Licht strahlte aus jedem Fenster des großen alten Hauses am Lakeshore Drive von Mandeville, das Kate und Richard Ryan bewohnten. Es war vor fast einem Jahrhundert erbaut worden, zu einer Zeit, da großzügiges Südstaatenleben noch etwas bedeutete. Eine Zeit vor MTV und allgemeinem Werteverfall. Als es noch verpönt war, wenn Politiker ihre Ehefrauen betrogen, und alltägliche Meldungen von grauenhaften Morden noch nicht zur Normalität gehörten.
Das Haus mit seinen doppelten, umlaufenden Balkonen und den deckenhohen Fenstern zeugte von Wohlstand, Status und Solidität. Es war geschaffen für eine Familie, die Kate und Richard jedoch nie haben würden.
Kate trat auf den oberen Balkon hinaus und schloss die Türen hinter sich, um den Lärm der in vollem Gang befindlichen Silvesterparty zu dämpfen. Die Januarnacht war bitterkalt und eisig für den Süden Louisianas. Kate ging zur Brüstung und blickte auf den
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