Albtraum
sah sie nur an und blickte dann wieder auf ihre Unterlagen. „Wie ich sehe, haben Sie eine Reihe von Aufgaben für Senator Jacobson erledigt. Spendenwerbung, Postdienst, Öffentlichkeitsarbeit, Wahlresultate prüfen.“ Er zog die Brauen hoch. „Das ist wirklich ein breites Spektrum an Tätigkeiten.“
Sie bemühte sich um eine Erklärung und merkte plötzlich, dass sie vielleicht ein wenig übertrieben hatte. „Ich war zweifellos in untergeordneter Stellung. Hauptsächlich habe ich dort ausgeholfen, wo ich gebraucht wurde. Ich rangierte einen Tick über den Laufburschen.“ Sie betrachtete einen Moment ihre gefalteten Hände und hob den Blick wieder. „Ich will ehrlich sein, damals war es ganz schön anstrengend. Aber heute merke ich, dass meine Erfahrung auf so vielen Gebieten ein Vorteil ist.“
„Da stimme ich Ihnen zu, Miss Starr.“ Er betrachtete sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. „Sie kommen mir irgendwie bekannt vor. Sind wir uns schon begegnet?“
„Nein. Jedenfalls glaube ich das kaum. Ich lebe noch nicht so lange in Mandeville.“
Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Was hat Sie den weiten Weg von Washington hierher geführt?“
Seine Frage überraschte sie, sie war nicht darauf vorbereitet. Auf der Suche nach einer sinnvollen Antwort senkte sie einen Moment den Blick und sah ihn wieder an. „Meine Mutter starb letztes Jahr nach …“ Sie räusperte sich. „Nach einem langen Kampf gegen Krebs. Ich habe weiter keine Familie. Und nach ihrem Tod wollte ich einfach nicht mehr bleiben.“
„Das tut mir Leid.“
Sie neigte in Anerkennung seines Mitgefühls kurz den Kopf. „Jedenfalls hatte ich viel von New Orleans, dem Mardi Gras und dem French Quarter gehört und wollte immer schon mal herkommen.“ Sie lächelte. „Und hier bin ich.“
„Aber Sie leben in Mandeville.“
Sie lächelte wieder. „New Orleans entsprach nicht ganz meinen Vorstellungen. Dann fuhr ich eines Samstags über den See und verliebte mich.“
Er erwiderte ihr Lächeln. „Das kann ich verstehen. Ich bin in New Orleans aufgewachsen. Aber heute möchte ich nirgends anders leben als am Nordufer.“ Er stand auf und streckte ihr die Hand hin. „Es war mir ein Vergnügen, Sie kennen zu lernen, Miss Starr, und ich werde Sie bei der Besetzung des Jobs zweifellos in die engere Wahl ziehen.“
Sie hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. Sie hatte gehofft, dass er ihr den Job gleich an bot. „Ha ben Sie eine ungefähre Vorstellung, wann Sie Ihre Entscheidung treffen werden?“
„Bald. Wenn Sie in einer Woche nichts von mir gehört haben, rufen Sie meine Sekretärin an. Sie heißt Nancy.“
Nachdem sie ihm die Hand gegeben hatte, ging sie zur Tür, wandte sich jedoch noch einmal zu ihm um. „Ich möchte diesen Job, Mr. Ryan. Ich brauche ihn. Ich werde sehr hart arbeiten und auch die geringsten Tätigkeiten übernehmen. Ich werde Sie nicht enttäuschen, das verspreche ich.“
Ihre kleine Ansprache schien ihm zu gefallen. „Ich werde das bedenken. Ach, Miss Starr?“ Sie drehte sich noch einmal hoffnungsvoll um. „Mein Beileid zum Tod des Senators.“
„Wie bitte?“
„Senator Jacobson. Ich war immer ein Anhänger seiner Politik. Seine Ermordung war empörend. Ein großer Verlust für Amerika.“
Julianna starrte ihn an, und der Raum schien sich zu drehen. Ein Schauer durchlief ihren Körper. „Ermordet?“ flüsterte sie. „Billy … ist tot?“
Richard kam um den Schreibtisch herum und erfasste ihren Arm. „Sie sind weiß wie die Wand. Kommen Sie, setzen Sie sich. Ich bringe Ihnen ein Glas Wasser.“
Er führte sie wieder zum Sessel. Sie sank nieder, legte den Kopf auf die Knie und atmete tief durch. Nach einer Weile verschwand das Schwindelgefühl, doch der Schock blieb.
Billy ist tot. Ermordet. Großer Gott, was ist mit Mutter?
„Es tut mir sehr Leid“, sagte er und reichte ihr das Glas. „Ich hätte nichts erwähnt … ich dachte, Sie wüssten es. Es stand in allen Zeitungen.“
Sie nahm ihm zitternd das Glas ab, trank und sah ihn an. „Ich wusste es nicht. Ich habe keine … mit dem Umzug …“ Sie trank noch einen Schluck. „Wann ist es … wie …?“
„Etwa vor vier Monaten. Er wurde erschossen. Allerdingserinnere ich mich nicht mehr an alle Details. Ich glaube, der Täter wurde nie gefasst. Falls doch, habe ich es nicht gehört.“
Mutters Liebhaber ermordet, und sie finden den Täter nicht? John!
Julianna zitterte heftig, obwohl sie es zu unterdrücken versuchte.
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